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Opfer einer »antisemitischen Hetzkampagne«44 seitens der »völkischen Stu-
dentenschaft«.BrassloffsÄußerungen,dievereinzelt–sosiewirklichsogetätigt
wurden, zumalmeist Aussage gegenAussage stand –wohl an derGrenze zur
Geschmacklosigkeit standen,45 waren jedoch lediglich ein Vorwand, um den
beliebtenVortragenden zu diskreditieren. Die wahrenGründe fanden sich in
antisemitischen und universitätspolitischenMotivationen. In der Sitzung der
DeutschenGemeinschaftwurdebetont: »Manmuß jetzt gut nachhelfen!Alles
aufbieten,umBr[assloff]ganzzuamovieren.«46Schließlichgingesnichtzuletzt
darum, die Position des Romanisten Ernst Schönbauer gegenBrassloff in der
bevorstehenden Lehrkanzelbesetzung zu stärken.47 Die Situation wurde für
Brassloff immer schwieriger und er sah sich genötigt, eine Selbstanzeige beim
akademischen Senat einzubringen. Am14.Dezember 1925 beganndiemünd-
licheVerhandlung imDisziplinarfall48Brassloff.AlsVertrauensmänner,dieder
mündlichenVerhandlungbeiwohnendurften,nannteBrassloffEmilGoldmann,
Alois Kreidl (med. Fakultät) undHeinrich Joseph (phil. Fakultät). Im Jänner
1926 erkannte der Akademische Senat einstimmig49 Brassloff für schuldig,
»durchEinstreuungnicht demLehrzweckedienender erotischer, teilweise ob-
szönerAeusserungen in seineVorlesungüberFamilienrecht […]denAnstand
und dieWürde, damit die Pflichten des akademischen Lehramtes sowie die
44 Meissel, StephanBrassloff 11.
45 SowurdenBrassloff folgendeAussagen vorgeworfen: »8.) Stellen Sie sich vor, einDienst-
mädchenwirdvonseinemHerrnvergewaltigt. ›KönnenSie sichdas auchwirklichvorstel-
len?‹AntwortdesSchülers: ›Jawohl,HerrProfessor.‹«–wobeidieseAussagebiszumSchluss
desVerfahrens alsnicht erwiesengalt.Großteils handelte es sich jedoch lediglichumAus-
sagen, die auf die sexuelle Sphäre anspielten: »7.) Die Verlobten haben gegeneinander
Keuschheit zu bewahren, halten es aber heute oft anders; wennman abends durch den
Türkenschanzparkgeht, kannmanbeobachten,wiediePärchenan einanderTopographie
betreiben…..umendlichZiehharmonika zu spielen.« InsgesamtwurdenBrassloff 23Aus-
sagen vorgeworfen – vgl. Protokoll dermündlichenVerhandlung vom14.12. 1925, UAW,
DisziplinaraktStephanBrassloff, SonderreiheDisziplinarakten, SenatS. 185.340, fol. 2 f.
46 Protokoll vom4.12. 1925, zit.n. Siegert,Numerus Judenraus36.
47 Meissel, StephanBrassloff 13.
48 DieDisziplinarkammer setzte sich ausErnst Schwind alsVorsitzenden, denBeisitzern Jo-
hannesDöller, HansMayer, Josef Schaffer, AdolfDopsch (später durchRobertMuchver-
treten), den StandesvertreternHugelmann undMerkl zusammen. Das Amt des Diszipli-
naranwalts übte Rudolf Köstler aus, zum Untersuchungsführer wurde Alexander Hold-
Ferneckbestellt.Vgl. Protokoll der SitzungderDisziplinarkammer vom4.11. 1925,UAW,
DisziplinaraktStephanBrassloff, SonderreiheDisziplinarakten, SenatS. 185.340.
49 Bei der Sitzungnahmen folgendeMitglieder teil: GustavEntz, Felix Exner,AlfredFischel,
Wenzel Gleispach, Konstantin Hohenlohe, Josef Hupka,Wenzel Pohl, Emil Reisch, Josef
Schaffer,ErnstTomek,HansÜberberger,HansVoltelini,RichardWasickyundRektorKarl
Luick. Vgl. Beratungsprotokoll des Akademischen Senates vom 8.1. 1926, UAW, Diszi-
plinaraktStephanBrassloff, SonderreiheDisziplinarakten, SenatS. 185.340.
Disziplinarrecht88
Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Title
- Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Authors
- Thomas Olechowski
- Tamara Ehs
- Kamila Staudigl-Ciechowicz
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-89971-985-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 838
- Category
- Recht und Politik