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6. Soll dieAblegungallerdrei StaatsprüfungendieVoraussetzungzurZu-
lassungzudenRigorosenbilden?«26
KnappezweiMonatevorBeginnderKriegshandlungen, imJuni1914,äußertesich
dieWienerFakultätbezüglichderReformbestrebungen.Vorwegstelltesieklar,dass
zur Optimierung der Juristenausbildung einerseits eine bessere Vorbildung und
andererseitseineernsthaftereBeschäftigungderStudentennotwendigwären.Nicht
alleMängel ließen sich somitmit einerReformder Studienordnungbeseitigen–
»DieHochschulekannnicht geben,woniemandbereit ist zu empfangenunddie
zahlreichen studentes a non studendomögen es auf ihr eigenes Schuldenkonto
nehmen,wenn sie anstatt des lebendigenWortes ausdemMundevonmitten im
FlussederWissenschaft stehendenLehrernsichandürftigenKatechismen,Repe-
titorien und in geschäftsmäßigen Einpaukekursen heranbilden.«27Das Professo-
renkollegiumbeschäftigte sichmit derVerbesserung des Studiumsundder Stu-
dienbedingungenund legteReformvorschläge vor. Sie beklagtendenZugangder
StudierendenzumStudiumals solchem:
»Die beste, wirksamste Studienreform wäre, wissenschaftlichen Sinn und
Pflichtgefühl indie Studentenschaft hineinzutragen.WenndieTradition fallen
würde, der Jurist brauche keineVorlesungen zu besuchen; es genüge, bei den
Prüfungendurchzukommen!Wenndie StudentendieÜberzeugungerlangten,
es sei für ihre Laufbahnund ihre Lebenserfolge bestimmend, ob sie ihre aka-
demischenJahrezuwahrerwissenschaftlicherAusbildungverwendethaben!«28
WeiterszeigtensieanhandeinigerBeispieledasmangelhafteWissendersich
imletztenSemesterbefindlichenJusstudenten:Esgibt»oftgenugLückenindem
zulässigenMindestmaße jenes positivenWissens, dasman von jedemMatu-
rantenverlangenmuß.IneinerWochekamesinWienimpolitischenRigorosum
vor, daßder eineKandidat nichtwußte, daßÖsterreich anRußland angrenze,
ein zweiter ließ es an Persien angrenzen, der dritte wußte nicht, zu welchem
StaateFiumegehöre; einvierter behauptete, die französischeRevolutionhätte
im sechzehnten Jahrhundert stattgefunden.«29 Das Professorenkollegium der
WienerJuristenfakultätsahesnichtalsAufgabederUniversitäten,vollkommene
Praktikerzuerschaffen, viel eherwarensiederMeinung,dassgutausgebildete
Theoretiker sichdementsprechend fortbildenundan ihreberuflichenHeraus-
forderungen anpassenwerden. Demnach sollte die Universität keine »Gewer-
beschule fürRichter,Anwälte undBeamtewerden«–denn »[e]rzieht dieUni-
versität tüchtigeTheoretiker, sohat siedamithochstehendePraktikererzogen,
26 FragebogendesKUM,abgedruckt in: Sperl,Neugestaltung38–41.
27 Sperl,Neugestaltung3.
28 Sperl,Neugestaltung5.
29 Sperl,Neugestaltung7.
DasStudiumderRechtswissenschaften138
Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Title
- Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918–1938
- Authors
- Thomas Olechowski
- Tamara Ehs
- Kamila Staudigl-Ciechowicz
- Publisher
- V&R unipress GmbH
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-89971-985-7
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 838
- Category
- Recht und Politik