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14 Ein Kartograph tritt langsam aus dem Schatten
– neben Latein auch Französisch und Italienisch, Griechisch und Hebräisch. Als verdien-
ter Amtsträger und gestützt auf ein funktionierendes höfisch-beamtetes Netzwerk wurde
AndermĂĽller nach dem Tod des Monarchen nicht entlassen, sondern von dessen Witwe,
Henriette Catharina von Nassau-Oranien (1637‒1708), zum Kanzlei- und Regierungsrat
befördert, eine Funktion, die er dann auch unter dem Reorganisator der preußischen
Armee Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676‒1747) weiter innehatte27. Noch von
Henriette Catharina erhielt AndermĂĽller die Erlaubnis zu einer Reise nach Italien, um
„selbigen Landes schöne Antiquitäten / und berühmte / Jhm vorhin zwar schon bekannte
Merckwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen“28.
„Im Jahr aber 1699. wurde Er mit hoher Genehmhaltung seines Fürsten von denen
Gesamten Regierern des Durchlauchtigisten Hauses Anhalt nacher Wien zur Käyserl.
Majestät als Gesandter abgeschicket / und hat Er in denen Jhm gnädigst aufgetragene
negotiis publicis des Vaterlandes / biĂź in das fĂĽnffte Jahr zur besondern Zufriedenheit
der gantzen HochfĂĽrstl. Herrschaft daselbst gearbeitet und residiret / Jhm auch dabey
den vorigen Applausum eines gewissenhafften / fleiĂźigen / geschickten und stattlichen
Mannes […] erworben“29. Gestützt auf eine gute Bibliothek mit Fachbüchern aus den
Bereichen der Rechtswissenschaft, Philosophie, Geschichte und Philologie scheint sich
Andermüller darüber hinaus mit verschiedenen Übersetzungen beschäftigt zu haben. Von
besonderem Interesse war für ihn die „Zeichen-Kunst, welcher er so sehr in seiner Jugend
ergeben gewesen / daß er ihr die Blödigkeit des Gesichtes in seinen Alter zuschriebe“30 –
das übermäßige Zeichnen bewirkte also eine spätere Fehlsichtigkeit. Im September 1717
verstarb der zeitlebens unverheiratete und mit seiner Schwester und deren jĂĽngerer Toch-
ter zusammenlebende Andermüller31. Eine am 27. September 1717 bei seinem Begräbnis
in Dessau gehaltene, anonyme Trauerrede erschien noch im Sterbejahr zwanzigseitig in
Zerbst im Druck – ein Exemplar befindet sich heute in der Universitätsbibliothek Leipzig
(Abb. 2)32.
Bernhard Georg Andermüller tritt uns somit aus der bislang eher spärlich bekannten
Überlieferung als ein in höherer Position von Verwaltung und Regierung des Fürstentums
Anhalt-Dessau tätiger Mann entgegen, der nach einem rechtswissenschaftlichen Univer-
sitätsstudium erfolgreich im engen Kreis um den Fürsten tätig war. Die von Andermüller
ab 1693 versehene Funktion eines Kanzleirates bedurfte nicht nur der „richtigen“ – in
diesem Fall reformierten – Konfession33, sondern sah neben einer verpflichtenden Verei-
27 Marcus Junkelmann, Art. Leopold I. NDB 14 (1985) 266–268.
28 Trauer- und Gedächtnuß-Rede 11.
29 Ebd. 11.
30 Ebd. 13.
31 In der blumigen Sprache der Leichenpredigt: „Verehliget ist Er niemahlen gewesen / indem wie es schei-
net / und aus einigen seinen Discursen zu schliessen ist / Er der zeitlichen Fortun dergleichen starcke Pfänder
oder Geisseln / als Weib und Kinder sind / nicht hat hinterlassen wollen / auch den Vortheil gehabt hat / sich
mit seiner Frau Schwester, der verwittibten und jetzo hochbetrĂĽbten Frau MĂĽllerin und deren Jungfer Tochter,
in der Oeconomie und häulichen Wesen / vergesellschaffet / und dergestalt sonderlich in seinen hohen und
schwachen Alter geholffen zu sehen / als es zwischen so nahen Freunden löblich und Christlich ist“; Trauer- und
Gedächtnuß-Rede 12.
32 Trauer- und Gedächtnuß-Rede. Zur Bedeutung der insbesondere im lutherischen Umfeld gebräuch-
lichen Leichenpredigten als biographische Quellen vgl. Moore, Patterned lives; weiterfĂĽhrende Hinweise zum
Quellentypus werden auf der website der Forschungsstelle fĂĽr Personalschriften der Akademie der Wissenschaf-
ten und der Literatur zu Mainz geboten, siehe: http://www.personalschriften.de/leichenpredigten.html.
33 Zur EinfĂĽhrung der Reformierten Konfession in Anhalt 1605 und 1609, die mit Schwierigkeiten ver-
bunden war, Brademann, Reformierte Konfessionalisierung 165–177.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Title
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Authors
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 212
- Keywords
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen