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Bilder – Grundriss einer Studie
von Territorialstaaten die Söldnerheere des 16. und 17. Jahrhunderts im Europa des 18.
Jahrhunderts von untertänigen Berufssoldaten abgelöst, die
– professionell ausgebildet,
gedrillt und uniformiert
– eine abgegrenzte Militärkaste bildeten. Diese ersten stehen-
den Heere wurden zu stets einsetzbaren Instrumenten staatlicher Macht. Es dürfte
kein Zufall sein, dass die
– wenn auch noch rudimentären
– Anfänge einer staatlichen
Versorgung von Kriegsinvaliden in diese Zeit fallen. Mit der Einführung der allgemei-
nen Wehrpflicht – zunächst (1792) im revolutionären Frankreich, mit einiger Verspä-
tung (1860) in Preußen und schließlich (1868) in der österreichisch-ungarischen Mo-
narchie
– trug die Armee, „Schule des Staates“ für die gesamte männliche Bevölkerung,
wesentlich zur Bildung der Nation und zur Schaffung eines Staatsvolkes bei. Die auf
der allgemeinen Wehrpflicht aufbauenden Heere waren um ein Vielfaches größer als
jene der Vergangenheit – und das waren auch die Verluste, die Kriege zwischen derar-
tigen Armeen forderten. Bereits im 19. Jahrhundert wurde das enorme Zerstörungs-
potenzial, das dieser Entwicklung innewohnte, erkannt. Völkerrechtlich bindende Ab-
kommen zielten erstmals auf Gewaltbegrenzung. Mit den Genfer Konventionen (seit
1864), der Haager Landkriegsordnung (1899 und 1907) und der Gründung des Roten
Kreuzes (1864) war die Behandlung der Verwundeten und Kriegsgefangenen schon
vor dem Ersten Weltkrieg sukzessive verrechtlicht worden.
Opfer. Mit der schrittweisen Ausweitung der Rekrutierungsbasis der Armee auf
die gesamte männliche Bevölkerung – Teil der Transformation des Untertanen zum
(männlichen) Staatsbürger, der dann als Soldat für die eigene Nation, den eigenen
Staat, kämpft
– wandelte sich zwangsläufig auch der Begriff des Opfers im Kontext des
Krieges.6 Der Ausdruck ist hier im Doppelsinn als Abstraktum (Opfer bringen) und in
seiner personifizierten Bedeutung (Opfer sein) gemeint. Interpretiert man das Opfer
im martyriologischen Sinn, soll es also kein sinnloses, „zufälliges“ bleiben, sondern
über sich selbst hinausweisen, so benötigt es eine Instanz, die ihm Sinn zu verleihen
imstande ist. Pierre Bourdieu folgend, ist dazu in der Moderne einzig der Staat in der
Lage, da er es ist, in dessen Händen sich die symbolische Macht und das symbolische
Kapital konzentrieren.7 Der untertänige Soldat des 18. Jahrhunderts kämpfte noch
weniger für „seinen Staat“ als für den absolutistischen Herrscher. Der wehrpflichtige
Bürger hingegen kämpfte – und kämpft noch heute – für das „Vaterland“, das ihm das
6 Siehe dazu z. B. John Horne, Masculinity in politics and war in the age of nation-states and world wars,
1850 –1950, in : Stefan Dudink/Karen Hagemann/John Tosh (Hg.), Masculinities in politics and war.
Gendering modern history, Manchester-New York 2004, S. 22–40 ; Richard Bessel, Was bleibt vom
Krieg ? Deutsche Nachkriegsgeschichte(n) aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive – Eine Einfüh-
rung, in : Militärgeschichtliche Zeitschrift, 60 (2001) 2 : Nach-Kriegs-Helden, S. 297–305.
7 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in : Reinhard Kreckel (Hg.),
Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918