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Bilder – Grundriss einer Studie
Ihre Aufstellung folgt weder dem Alphabet noch einem Nummernsystem. In drei Rei-
hen hintereinander gelagert, ist es unmöglich einen Akt zu bestellen, zu retournieren
und neuerlich aufzufinden. Man weiß nur, dass es sich um Asservate handelt : In den
Akten aufgefundene Superarbitrierungsakten beispielsweise wurden in den entspre-
chenden Bestand umgereiht. Gerade in diesen Dokumenten kommen Kriegsbeschä-
digte und Kriegshinterbliebene wahrscheinlich am ehesten selbst zu Wort, bei den
übrigen Unterlagen – in erster Linie eben Verwaltungsakten – handelt es sich um
klassische Quellen „von oben“, die den Betroffenen wenn überhaupt, dann nur indi-
rekt eine Stimme geben. Anträge auf Kriegsopferfürsorge und Zuerkennungsverfahren
sind immer auch Lebensläufe im Kleinen, Biografien, die – von den Antragstellern
oder den sie vertretenden Verbänden formuliert
– von der Behörde formalisiert und in
zuerkannte Leistungen umgeschrieben wurden. Ihre Aussagekraft im Einzelfall ist ge-
ring, in der Serie hätten sie jedoch genau jenes Zusammenspiel zwischen Individuum
und Staat erhellt, das hier interessiert.
Was die normativen Quellen betrifft, so ist es explizites Ziel dieser Studie, durch eine
genaue Analyse der Gesetze ihre Intention zu entschlüsseln und die in ihnen enthalte-
nen Definitionen und „Setzungen“ in Bezug auf Fragen der sozialen Verpflichtung und
der Staatsbürgerschaft zu hinterfragen. Eine umfangreiche Gesetzessammlung findet
sich im Anhang. Ebenfalls detailliert erörtert wird die Diskussion der einschlägigen
Gesetze auf parlamentarischer und ministerieller Ebene – wofür die Stenographischen
Protokolle des Reichs- und des Nationalrates als Quelle dienen –, aber auch innerhalb
der Kriegsopfervereine. Neben den Gesetzen sind es der bürokratische Apparat, der
zur Administration der Kriegsopferfürsorge geschaffen wurde, die Gutachter und der
Expertendiskurs über den finanziellen „Wert“ des konkreten individuellen körperlichen
Schadens, in denen sich der differenzierte und formalisierte Zugang von Jurisdiktion und
Verwaltung zum physischen und auch psychischen Leid der unmittelbar Beschädigten
und zur materiellen Not der hinterbliebenen Witwen und Waisen widerspiegelt. Ihn zu
fassen erlaubt auch die umfangreiche zeitgenössische Literatur, die als Primärliteratur
angesprochen werden muss : kleine Schriften, die oft schon während des Krieges publi-
ziert wurden,75 Pamphlete und Vorträge, die sich mit spezifischen Fragen
– wie etwa der
75 Rudolf Peerz, Unsere Sorge um die Kriegsinvaliden. Eine sozialpolitische Studie, Wien 1915 ; Gustav
Marchet, Die Versorgung der Kriegsinvaliden und ihrer Hinterbliebenen, Warnsdorf i.B. 1915 ; Josef
Pokorny, Die Arbeitstherapie in den Invalidenschulen, in : Hans Spitzy (Hg.), Unsere Kriegsinvaliden.
Einrichtungen zur Heilung und Fürsorge. Bilder aus dem k. u. k. Reservespital XI, Wien (= 5. Beiheft zu
Streffleurs Militärblatt), Wien 1915, S. 78–83 ; Josef Pokorny, Berufsberatung von Kriegsblinden, Wien
1916 ; Emerich Ferenczi, Die Wiedereinstellung der Kriegsinvaliden ins bürgerliche Erwerbsleben in
Deutschland, Österreich und Ungarn, Wien-Leipzig 1916 ; Leo Wittmayer, Die Kriegsbeschädigten-
Fürsorge, Wien 1918.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918