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44 Einleitung
diesen Aspekt betont Karin Hausen am Beispiel Deutschland – im und unmittelbar
nach dem Krieg den Gefallenen vorbehalten gewesen sein. Er war für Kriegsbeschä-
digte und Kriegshinterbliebene möglicherweise ungeeignet erschienen, „solange al-
lein der toten ‚Helden‘ als Opfer gedacht wurde“.110 Interessanterweise funktionierte
dieses Gedenken nach Kriegsende selbst bei den ehemaligen Mittelmächten, also den
Kriegsverlierern, über die Gleichsetzung von Held und Opfer. Österreich, das anders
als das Deutsche Reich auch noch auf den Großteil seines ursprünglichen Territori-
ums verzichten musste, war dabei ein doppelter Verlierer. Opfer als Helden zu sehen,
dürfte unter diesen Umständen sogar ganz besonderer mentaler Anstrengungen und
Verschiebungen bedurft haben. Tatsächlich waren „Kriegshelden“ – wie René Schil-
ling nachweist – schon im 19. Jahrhundert in erster Linie „Opferhelden“ gewesen,
also Soldaten, die ihr Leben im Kampf ließen. Seit den Napoleonischen Kriegen
war die Stilisierung des Sterbens auf dem Schlachtfeld zum „Heldentod“ jener Tri-
but, der den einfachen Soldaten auf symbolischer Ebene für ihren Einsatz gezollt
wurde. Die Genesis des „Heldentodes“ war also eng mit der Wehrpflicht verbunden.
Kriegsheld zu werden, das war – besonders im Ersten Weltkrieg – nicht mehr allein
dem Feldherren vorbehalten, der durch besondere militärische Leistung hervorstach.
Kriegsheld konnte nun jeder wehrpflichtige Bürger werden
– dieser jedoch nur, indem
er sein Leben opferte.111
Dass ein enger Versorgungszusammenhang zwischen Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen bestand und es sich im Laufe der Zeit als praktischer heraus-
stellte, einen Begriff statt zweier Begriffe zu verwenden, ist eine recht formale Be-
gründung für die hier skizzierten terminologischen Verschiebungen und erklärt diese
nur teilweise. Ausschlaggebend für die Durchsetzungskraft des neuen Begriffes waren
wohl andere Kriterien. Es hängt auch mit der Macht des Wortes und dem ihm inne-
wohnenden Doppelsinn112 zusammen, dass sich trotz der anfänglichen Reservierung
des Opferbegriffs für die Toten des Krieges etwa ein Jahrzehnt nach Kriegsende der
Begriff Kriegsopfer als Sammelbezeichnung für Kriegsbeschädigte und Kriegshinter-
schädigten (gegründet 1918). Er nahm 1920 auch die Hinterbliebenen in den Titel und nannte sich
nun Zentralverband der Landesorganisationen der Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebenen Österreichs.
Sein Gegenspieler, der Verband christlicher Heimkehrer, Kriegsinvalider, Kriegerwitwen und -waisen (ge-
gründet 1919), wandelte seinen Namen 1924 in Reichsbund der Kriegsopfer Österreichs um und benützte
damit den neuen Begriff schon im Titel ; siehe zur genauen Entwicklung der Bezeichnungen der wich-
tigsten österreichischen Kriegsbeschädigtenorganisationen auch Tabelle 1 im Anhang.
110 Hausen, Die Sorge der Nation für ihre „Kriegsopfer“, S. 726.
111 René Schilling, „Kriegshelden“. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813–1945,
Paderborn-München-Wien-Zürich 2002, S. 22–27.
112 Im Englischen ist diese Unterscheidung eindeutiger, es gibt mit „sacrifice“ und „victim“ für die beiden
Bedeutungen verschiedene Worte ; ebd., S. 26, FN 33.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918