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normative Rahmen der Kriegsbeschädigtenversorgung während des Krieges
bezog sich die Höhe der Leistung auf das Einkommen des Eingerückten : Sie ergab
sich nämlich aus der Höhe der am Ort des Eingerückten festgesetzten sogenannten
Militärdurchzugsverpflegung.42 Zusätzlich wurde aber festgelegt, dass die am Ort gel-
tenden Unterhaltsbeiträge zu kürzen seien, wenn sie jene Beträge übertreffen würden,
die der Eingerückte seinen Angehörigen zuvor zugewandt hatte.
Drei kaiserliche Verordnungen – aus den Jahren 1915, 1916 und 191743 – versuch-
ten durch eine Erweiterung des Kreises jener, die Anspruch auf Unterhaltsbeiträge
haben sollten, auch die Versorgung der Kriegsbeschädigten bzw. ihrer Angehörigen in
den Griff zu bekommen. Glaubt man dem Bericht eines parlamentarischen Ausschus-
ses aus 1917, der, nachdem der Reichsrat wieder zusammengetreten war, eine Vorlage
für ein neues Unterhaltsbeitragsgesetz ausarbeitete, so war aber bereits die Basis für
diese Verordnungen, das in Zeiten heftigster Obstruktionspolitik geschaffene Gesetz
von 1912, äußerst kümmerlich gewesen. Dazu sei damals „der Mangel jeder Erfahrung
auf diesem Gebiete und die Hoffnung [gekommen], daß kriegerische Verwicklungen
und damit die Durchführung des Gesetzes vermieden werden würde.“44
Mit der ersten der drei erwähnten Verordnungen, jener von 1915, wurde zunächst
festgelegt, dass die Unterhaltsbeiträge nicht nur im Todesfall, sondern auch dann wei-
terbezahlt werden sollten, wenn der einberufene Soldat „in das nichtaktive Verhältnis“
rückversetzt wurde, was, auch wenn in dieser Passage des Textes – erstaunlich ge-
nug – der Begriff der Invalidität nicht vorkommt, vor dem Hintergrund des Krieges
nichts anderes bedeuten konnte als das Ausscheiden eines Wehrpflichtigen aus der
Armee wegen Dienstuntauglichkeit infolge Invalidität. Außerdem sollten die Beiträge
grundsätzlich nicht nur für sechs Monate ab dem Todeszeitpunkt (oder neu : ab dem
Zeitpunkt der Rückversetzung in das nichtaktive Verhältnis) weiterbezogen werden,
haltsbeiträge im konkreten Fall besteht, wurde bereits von Zeitgenossen als problematisch empfunden.
Das zeigen die Ausführungen eines Juristen der Stadt Wien. In einer Sammlung der Bestimmungen über
die Unterhaltsbeiträge mokiert er sich nämlich darüber, dass „die Verordnung zum Gesetze über den
Unterhaltsbeitrag sehr viele Detailanweisung enthält und einheitliche Formularien für die verschiedenen
Stadien des Verfahrens anordnete, sich aber hinsichtlich der Durchführung der so wichtigen Erhebun-
gen auf einen Satz beschränkt : ,Die Art der Erhebungspflege wird der Erwägung des einzelnen Falles
überlassen.‘“ Rudolf Hornek, Staatlicher Unterhaltsbeitrag und Staatliche Unterstützung (Gesetze, Ver-
ordnungen und Erlässe, Erkenntnisse des k. k. Verwaltungsgerichtes), Wien 1916, S. 7.
42 RGBl 1912/238, § 4, eingeführt mit RGBl 1879/93, regelte Gebühren, die fällig wurden, wenn das Mi-
litär Quartier bei Privatpersonen beanspruchte. Die Höhe dieser Gebühren sollte jährlich neu berechnet
und im Verordnungsblatt des Landesverteidigungsministeriums publiziert werden, tatsächlich wurden
die Sätze nach ihrer Einführung nie mehr valorisiert ; Hornek, Unterhaltsbeitrag, S. 5.
43 RGBl 1915/161 ; RGBl 1916/135 ; RGBl 1917/139.
44 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 1917, Beilage Nr. 459.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918