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normative Rahmen der Kriegsbeschädigtenversorgung während des Krieges
Versorgung von Kriegsbeschädigten während eines Krieges nicht einmal annähernd
genügte, selbst diese Einsichten führten nicht dazu, dass dem Gesetz im Verlauf des
Ersten Weltkrieges eine neue Gestalt verliehen worden wäre. Im Oktober 1917 teilte
der Minister für Landesverteidigung dem Parlament Folgendes mit :
„Der Verlauf der ersten Kriegsmonate mußte nun die mit dieser Frage befaßten Stellen zu der
Überzeugung bringen, daß einerseits eine Reihe von in das Gebiet der Militärversorgung fal-
lenden Fragen derart unzureichend geregelt ist, daß sich eine wenigstens provisorische Kor-
rektur dieser im Kriege am meisten hervorgetretenen Mängel absolut nicht aufschieben lasse,
daß aber andererseits die umfassende und endgültige Regelung des gesamten militärischen
Versorgungswesens in der verfügbaren kurzen Zeit nicht durchführbar ist. Daher mußte we-
nigstens den dringendsten Bedürfnissen im Wege vorläufiger Verfügungen Rechnung getra-
gen werden, während aber gleichzeitig auch die Aktion wegen der – begreiflicherweise nicht
von heute auf morgen durchführbaren – Gesamtnovellierung weitergeführt wurde.“99
Von den „provisorischen Korrekturen“ und „vorläufigen Verfügungen“ war schon die
Rede. Während sie umgesetzt wurden, blieb jedoch die zugleich angestrebte „Gesamt-
novellierung“ auf der Strecke. Was der Minister mit der „verfügbaren kurzen Zeit“
meinte, ist nicht ganz klar, es sollte freilich auch die Zeit bis zum Ende der Monarchie
nicht ausreichen, um in Österreich ein neues Militärversorgungsgesetz zu verabschie-
den. Tatsächlich aber gab es umfangreiche Vorarbeiten. Man erfährt von ihnen, weil
sie von der Regierung wiederholt ins Treffen geführt wurden – so etwa auch, als sie
versuchte, die Verabschiedung des oben dargestellten Gesetzes über die Zuwendungen
vom März 1918 unter anderem mit dem Argument abzuwenden, die Vorlage eines
neuen Militärversorgungsgesetzes würde unmittelbar bevorstehen. Otto Glöckel, der
das Gesetz über die Zuwendungen in seiner Funktion als Ausschussberichterstatter
präsentierte, ließ das nicht gelten :
„Bis in die letzte Zeit hat man uns abzuhalten versucht, dieses Provisorium zu schaffen, weil
man immer wieder darauf verwies, es werde ohnedies das Versorgungsgesetz endlich einmal
zustande kommen. […] So leid es uns um die Invaliden ungarischer Nationalität tut, so
mußten wir, um überhaupt Abhilfe schaffen zu können, zunächst in unserem Wirkungskreise
die provisorische Regelung der Frage für die Invaliden österreichischer Staatsbürgerschaft in
Angriff nehmen.“100
99 Ebd., XXII. Session, Anfragebeantwortung Nr. 88 v. 11.10.1917.
100 Ebd., XXII. Session, 67. Sitzung v. 1.3.1918, S. 3403.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918