Page - 87 - in Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Image of the Page - 87 -
Text of the Page - 87 -
87Der
normative Rahmen der Kriegsbeschädigtenversorgung während des Krieges
Obwohl sich das Landesverteidigungs- und das Kriegsministerium zunächst mit der
Forderung des Sozialministeriums, gemischte Kommissionen einzurichten – gedacht
war dabei an die Inanspruchnahme von Ärzten der Allgemeinen Unfallversicherungs-
anstalt –, angefreundet haben dürften,115 fand der Vorschlag in der Regierungsvorlage
dann doch keinen Niederschlag.116
In einer anderen Frage
– das Sozialministerium verlangte unter anderem auch, dass es
künftig möglich sein sollte, gegen die Bescheide der Superarbitrierungskommissionen
bei einer übergeordneten Instanz Berufung einzulegen – blieb eine Annäherung der
Standpunkte der Militär- und der Zivilverwaltung von Anfang an aus. Die Begrün-
dung für die Weigerung des Kriegs- und des Landesverteidigungsministeriums wirft ein
grelles Licht auf die unhaltbare Situation, die sich aus dem Ausgleich von 1867 ergab.
Der Vertreter des Kriegsministeriums machte in einer Besprechung den Anwesenden
deutlich, woran ein Berufungsrecht gegen Superarbitrierungsbefunde scheitern müsse :
„Es ist einerseits die Gemeinsamkeit der militärischen Institutionen, die eventuell, wenn eine
Berufungsinstanz geschaffen werden sollte, vor die Frage stellt, ob diese Berufungsinstanz
nicht auch wieder eine gemeinsame sein müsste. Gegen diese Lösung würden sich wahr-
scheinlich staatsrechtliche Bedenken von verschiedenen Seiten ergeben. Andererseits würde
es auch schwer gehen, eine österreichische oder eine ungarische Stelle als Berufungsinstanz
über gemeinsame Behörden zu stellen.“117
aus Militär- und Zivilpersonen zusammensetzten, und weist auf die Tatsache hin, „dass die Superar-
bitrierungskommissionen sehr strenge vorgehen […], so dass viele Kriegsteilnehmer, die durch die
Kriegsdienstleistung an ihrer bürgerlichen Erwerbsfähigkeit Einbusse erlitten haben, keiner Militär-
Invaliden-Pension teilhaftig wurden“.
115 Ebd. Im Akt wird eine Unterredung im Ministerium für Landesverteidigung am 26.3.1918 erwähnt,
in deren Verlauf Vertreter dieses und des Kriegsministeriums entsprechende Zusagen machten ; gleich-
zeitig aber fand der Vorschlag des Ministeriums für soziale Fürsorge, die Superarbitrierungsvorschrift
aus dem Jahr 1885 durch eine Neufassung zu ersetzen, keine Zustimmung.
116 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 1918, Beilage Nr. 1185 ; in § 20 Abs 3 heißt es sinngemäß, dass die
dem Ministerium für Landesverteidigung unterstellten Zusatzrentenkommissionen an die Feststellun-
gen der Militärbehörde über den Grad der MdE gebunden seien.
117 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1359, 9947/1918, Protokoll über die im Ministerium für soziale Für-
sorge abgehaltene Besprechung vom 5. April 1918 betreffend die vom Gemeinderate der Reichshaupt-
und Residenzstadt Wien am 6. Februar 1918 beschlossene Resolution. Den Vorsitz führte Sozialminis-
ter Viktor Mataja, anwesend waren hochrangige Vertreter folgender Stellen : des Kriegsministeriums,
des Ministeriums für Landesverteidigung, des Ministeriums für Kultus und Unterricht, des Ministe-
riums für öffentliche Arbeiten, des Ministeriums für Finanzen, des Ministeriums für Ackerbau, der
niederösterreichischen Statthalterei, des Wiener Bürgermeisters sowie Vertreter der Unternehmer und
der Arbeiterschaft. Das Kriegsministerium lehnte das geforderte Berufungsrecht auch deshalb ab, weil
es annahm, dass im Falle der Gewährung eines solchen Rechtes jeder gegen seinen Superarbitrierungs-
befund Beschwerde einlegen würde.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918