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Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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95Arbeitspflicht Selbst wenn ein Staat zur Ansicht gelangt wäre, das Opfer, das ein Kriegsbeschädig- ter durch den Verlust seiner Gesundheit oder körperlichen Integrität gebracht hatte, sei ein so großes, dass man im Abtausch dafür bereit sei, ihn unbegrenzt zu alimen- tieren, wäre ein solcher Staat angesichts der Zahl der zu Versorgenden im Laufe des Ersten Weltkrieges finanziell in die Knie gegangen, führten doch schon die tatsäch- lich geleisteten  – und, wie oben gezeigt, keineswegs existenzsichernden  – Zahlungen an Kriegsbeschädigte und deren Angehörige den Staatshaushalt in kürzester Zeit an seine Grenzen. Es war offensichtlich, dass die Mittel nicht ausreichen würden, eine so große Gruppe von Arbeitsunfähigen zur Gänze und dauerhaft auf Staatskosten zu versorgen. Unterstützte der Staat die Kriegsbeschädigten aber darin, sich wieder selbst zu erhalten, so kam er seiner Verpflichtung gegenüber diesen Menschen ebenfalls, und sogar auf kostengünstigere Weise, nach. Ein weiteres und wohl auch nicht einfach als Vorwand abzuqualifizierendes Argument gegen eine finanzielle Vollversorgung war die häufig geäußerte Sorge, dass auf diese Weise ein „Fürsorgeproletariat“8 oder, wie es an anderer Stelle geradezu poetisch hieß, eine Heer „von mit sich und der Welt zerfal- lener Almosenempfänger“9 geschaffen würde. Niemand wünschte sich aber jene Zeit zurück, als Kriegsinvalide mangels Alterna- tiven auf die private Wohltätigkeit angewiesen waren. Zu eindeutig war es mittlerweile Sache des Staates geworden, sich um die Opfer des Krieges zu kümmern, Zeitgenos- sen benutzten in diesem Zusammenhang immer wieder das Bild des Leierkastens als negatives Symbol für die herkömmliche und hoffentlich bald ganz der Vergangenheit angehörende Invalidenversorgung ; zu einem „modernen Empfinden“ würde eine sol- che demütigende Unterstützungsform einfach nicht mehr passen : „Wir alle erinnern uns der Invaliden, die mit der Kriegsmedaille und häufig auch noch mit anderen Auszeichnungen geschmückt, das Recht sich erworben haben, mit dem Leierkasten oder mit einem anderen Instrument von Haus zu Haus zu wandern und durch das Spiel sich einen kärglichen Verdienst zu erwerben. Was waren diese Leute eigentlich ? Sagen wir es un- gescheut ! Bettler waren sie, angewiesen auf die Gnade oder Ungnade fremder [sic], abhängig von der Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen, oft beiseite geschoben, verhöhnt, verachtet, als Faulpelze und Strolche erniedrigt. 8 Marchet, Die Versorgung, 1915, S.  28. Diese Befürchtung hegten die Experten in Verwaltung und Po- litik auch noch in der Ersten Republik, wie sich immer wieder in parlamentarischen Debatten und Äußerungen der mit dem Thema beschäftigten Beamten zeigt. 9 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 1917, Beilage Nr. 887, Bericht des Gesundheitsausschusses über die Kaiserliche Verordnung v. 29.8.1915, RGBl Nr. 260 […].
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die Wundes des Staates
Subtitle
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Authors
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2015
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
586
Categories
Geschichte Nach 1918
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