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Nach 1918
Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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96 Die soziale Kriegsbeschädigtenfürsorge im Krieg Unserem modernen Empfinden kann eine derartige Versorgung der Invaliden nicht entsprechen. Wir müßten es als ein gewaltiges Unrecht empfinden, daß Leute, die einst als tapfere Helden gekämpft und gelitten, nunmehr von bitteren Gefühlen be- seelt, der Allgemeinheit zur Last fallen sollten.“10 Da also die vollständige Alimentierung der Kriegsbeschädigten auf Staatskosten weder möglich noch erwünscht und die private undenkbar geworden war, sah sich der Staat gezwungen, in die berufliche Reintegration der Kriegsbeschädigten zu in- vestieren. Er tat dies einerseits, indem er die Aufgaben der Kriegsbeschädigtenfür- sorge um ein ganzes Set von hier im Folgenden näher zu beschreibenden Maßnahmen erweiterte, die alle den Zweck hatten, die Erwerbsfähigkeit der Kriegsbeschädigten nach Möglichkeit wieder herzustellen. Und er tat es andererseits, indem er daneben ganz klar zum Ausdruck brachte, dass jeder Kriegsbeschädigte seinerseits am Projekt der eigenen Reintegration tatkräftig mitwirken und den ihm verbleibenden Rest an Arbeitskraft einsetzen musste. So unterwarf er ihn also gewissermaßen der eingangs erwähnten „Arbeitspflicht“. Und dies war der zweite Teil des „Pflichtenheftes“  – der Zusammenhang von Fürsorge- und Arbeitspflicht. Er wurde erst im Zuge des Ersten Weltkrieges, dann aber umso deutlicher, evident und war  – was angesichts der äußerst unvollständigen Erfüllung der staatlichen Fürsorgepflicht aber auch nicht weiter ver- wundert  – vor diesem Krieg überhaupt noch nicht formuliert worden. Der Charakter der Verpflichtung war freilich im Hinblick auf die Arbeitspflicht ein anderer als im Hinblick auf die Wehrpflicht. Zwar sahen die einschlägigen Ver- ordnungen  – wie später noch ausgeführt wird  – gewisse, wenngleich relativ zahnlose Zwangsmaßnahmen für jene Männer vor, die sich den Rehabilitationsprogrammen entzogen, in erster Linie wurde die Arbeitspflicht aber moralisch untermauert. Un- zählige Autoren betonten, dass die Rückführung der Kriegsbeschädigten zur Erwerbs- fähigkeit „im Interesse des Einzelindividuums nicht minder, wie im Interesse der Allgemeinheit“11 notwendig war. Zum ökonomischen Argument trat also noch ein 10 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 56. Sitzung v. 30.1.1918, S.  2941 (Jankovič). Siehe zum Mythos des Leierkastens Sabine Kienitz, Der Krieg der Invaliden. Helden-Bilder und Männlichkeitskonstruktionen nach dem Ersten Weltkrieg, in : Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001) 2 : Nach-Kriegs-Helden, S.  367–402, hier S.  389ff. 11 So hieß es schon in einem Erlass des MdI v. 8.6.1915 : „Erster und oberster Grundsatz der Invaliden- fürsorge muß es sein, Personen, die durch Verwundung, Erkrankung oder auf sonstige Art im Kriege ihre Erwerbsfähigkeit ganz oder zum Teil eingebüßt haben, im Interesse des Einzelindividuums nicht minder, wie im Interesse der Allgemeinheit wieder zu möglichst vollwertigen, aufrechten Mitgliedern der staatlichen Gemeinschaft zu machen und zu trachten, daß dieses ideale Ziel  – Erwerbsfähigkeit und Erwerbsmöglichkeit der Kriegsbeschädigten  – durch vollstes Zusammenwirken aller in Betracht kom- menden Faktoren auch wirklich erreicht wird.“ K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S.  6 ; siehe auch die Argumentation bei Siegfried Kraus, Die Kriegsinvaliden und der Staat, München 1915.
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Die Wundes des Staates
Subtitle
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Authors
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2015
Language
German
License
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Size
17.0 x 24.0 cm
Pages
586
Categories
Geschichte Nach 1918
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