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101Die
„Erfindung“ der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge
zu überwinden.21 In Österreich scheint es, als hätte man versucht, schon in der eu-
phemistischen Benennung der neuen Einrichtung für die Kriegsbeschädigtenfürsorge
(„Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger“) jede Assoziation mit
dem Thema Kriegsinvalidität zu vermeiden.
Dem Konzept einer sich direkt an den invaliden Soldaten richtenden Fürsorge ent-
sprechend, enthielten die frühen staatlichen Bemühungen auf dem Feld der sozialen
Kriegsbeschädigtenfürsorge noch keine Ansätze einer Witwen- und Waisenfürsorge.
Der Apparat der Landeskommissionen und Arbeitsvermittlungen diente ausschließlich
der Fürsorge für Kriegsbeschädigte. Die Frauen der Gefallenen blieben ganz auf die
Unterhaltsbeiträge angewiesen, die im Laufe des Krieges durch die steigende Inflation
ihren Wert allerdings zunehmend einbüßten. Für darüber hinausgehende soziale Be-
lange der Hinterbliebenen waren zu Kriegsbeginn das zum Kriegsministerium gehö-
rende
– und aus der Hilfsaktion Kälteschutz hervorgegangene22
– Kriegsfürsorgeamt so-
wie das dem Innenministerium unterstehende Kriegshilfsbüro zuständig. Später, 1915,
kam noch der k. k. Österreichische Militär-Witwen- und Waisenfonds, ein als Zentral stelle
fungierender privater Verein, hinzu. Die Tätigkeit dieses unter dem Protektorat des
Kaisers stehenden Vereins erschöpfte sich jedoch in traditioneller Spendensammlung
und -verteilung.23 Zu besonderer Bekanntheit brachte es der Militär-Witwen- und
Waisenfonds vor allem durch die Erfindung der Wehrmannbenagelungen – einer Spen-
denidee, die sich noch 1915 auf die ganze Monarchie und das Deutsche Reich aus-
breitete und der Spendeneuphorie des Kriegsbeginns anschaulich Ausdruck verlieh.
Doch die anfangs zu Tausenden zu den Benagelungsobjekten strömenden Personen,
die ihre gegen eine Spende erworbenen Nägel in die Holzdenkmäler einschlugen,
konnten schon ab 1916 nicht mehr im gleichen Ausmaß mobilisiert werden.24 Für-
21 Konrad Biesalski, Kriegskrüppelfürsorge. Ein Aufklärungswort zum Troste und zur Mahnung, Leipzig
1915, S. 4 ; siehe auch : Bernd Ulrich, „… als wenn nichts geschehen wäre“. Anmerkungen zur Behand-
lung der Kriegsopfer während des Ersten Weltkrieges, in : Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina
Renz (Hg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch … Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges,
Essen 1993, S. 115–129.
22 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1361, 14175/1918.
23 Siehe zum Militär-Witwen- und Waisenfonds und der grundsätzlich nur mäßigen Effizienz der österrei-
chischen Kriegshinterbliebenenfürsorge vor allem Eberhard Sauermann, Aspekte der österreichischen
Kriegsfürsorge im Ersten Weltkrieg, in : Österreich in Geschichte und Literatur, 45 (2001) 2b–3, S. 98–
121.
24 Irene Nierhaus, Die nationalisierte Heimat. Wehrmann und städtische Öffentlichkeit, in : Gisela Ecker
(Hg.), Kein Land in Sicht. Heimat
– weiblich ?, München 1997, S.
57–79 ; Michael Diers, Nagelmänner.
Propaganda mit ephemeren Denkmälern im Ersten Weltkrieg, in : Michael Diers (Hg.), Mo(nu)mente :
Formen und Funktionen ephemerer Denkmäler, Berlin 1993, S. 113–135 ; Tristan Loidl, Andenken aus
Eiserner Zeit. Patriotische Abzeichen der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1914 bis 1918,
Wien 2004, S. 210ff ; „Der vom Witwen- und Waisenhilfsfonds der gesamten bewaffneten Macht ge-
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918