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121Exkurs
: Schulung in der Invalidenstadt
und die Einhaltung der Termine überwacht wurde. Diese genaue Erfassung und Ver-
waltung der Kriegsbeschädigten war notwendig, denn : „Das große Krankenmaterial
war nur so wirklich zu übersehen, zu sichten und durchgreifend zu behandeln“.43 Und
die „durchgreifende Behandlung“ mit dem Ziel der möglichst vollständigen Heilung
war der erklärte Zweck der Organisation mit ihren unübersehbaren Anklängen an ein
großes Industrieunternehmen.
Die Fälle verteilten sich relativ gleichmäßig auf die drei Krankheitstypen Verstei-
fungen, Lähmungen und Amputationen. Dieser Klassifikation entsprechend, wurden
die Patienten auch räumlich aufgeteilt, zunächst im Stammhaus und danach – wenn
sie soweit genesen waren, dass sie den Invalidenschulen übergeben werden konnten –
in der Barackenstadt, wo sie „genau geschieden nach ihrer Verletzung“44 in getrennten
Barackenbezirken untergebracht waren.
Hier in der Invalidenstadt erfolgte dann die Arbeitszuteilung. In den Werkstätten
wurden die Kriegsbeschädigten von Werkmeistern in insgesamt 38 Gewerben geschult,
auf dem angeschlossenen Versuchsfeld im Gebrauch landwirtschaftlicher Geräte un-
terwiesen, in Lehrgängen theoretisch unterrichtet, häufig in Fächern der Bürgerschule,
damit ihnen nicht von Vornherein der Zugang zu Stellen in öffentlichen Ämtern ver-
baut war.45 Unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit wurde nicht geduldet ; „Kon-
trolluhren“ garantierten eine „streng fabrikmäßige Überwachung“46 der Arbeitenden ;
eine symbolische Entlohnung und ein Prämiensystem mit Belobigungen47 dienten als
zusätzlicher Arbeitsanreiz. Jede Werkstätte hatte das Ausmaß eines mittleren Gewer-
bebetriebs mit etwa 30 bis 50 Mitarbeitern. Es waren – wie Spitzy formulierte – zu-
nächst „Dorfwerkstätten“ „für die Berufe des kleinen Mannes“.48 Später kamen auch
mechanisierte Betriebe hinzu. Sie dürften in erster Linie durch Spenden der Rüs-
tungsindustrie ermöglicht worden sein, die in der Ausstattung von Invalidenschulen
wohl ein kompensatorisches Betätigungsfeld sahen. So finanzierte zum Beispiel der
größte Pulver- und Munitionsproduzent Europas, die Dynamit Nobel AG, die metall-
verarbeitenden Werkstätten der Favoritener Invalidenschulen.49
43 Ebd., S. 12.
44 Ebd., S. 13f.
45 Ebd., S. 9. In den Werkstätten konnten sich die Kriegsbeschädigten zu Korbflechtern, Schuhmachern
und Tischlern, zu Friseuren, Zahntechnikern oder Musikern ausbilden lassen. Besonders hervorgehoben
wurden stets ein Hausmeisterkurs und ein Lehrgang für Jäger und Heger. Der Unterricht in Buchhal-
tung, Stenografie und Maschinschreiben begann Anfang Februar 1915 ; Otto Frankl, Der theoretische
Unterricht an der Invalidenschule, in : Spitzy, Unsere Kriegsinvaliden, S. 83–90, hier S. 83.
46 Spitzy, Arbeitstherapie, S. 16.
47 „Gedenkblätter“ im Arbeitsbuch ; Spitzy, Arbeitstherapie, S. 16.
48 Spitzy, Organisation, S. 4.
49 Pokorny, Arbeitstherapie, S. 79.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Wundes des Staates
- Subtitle
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Authors
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 586
- Categories
- Geschichte Nach 1918