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Lichtenfels Lichtenfels
Porträt. Guter Holzschnitt uon K. v. H. in
der Glocke 1861, Nr. 126. S. 173.
Zur politischen Charakteristik des Freiherrn
von Lichtensels. Im verstärkten Reichsrathe
standen sich zwei Hauptparteien, jene der Ein-
heits- und jener der historischen Seite gegen«
über: Die Wortführer der ersteren waren Frei«
Herr von Lichtenfels und Graf H ar t ig ;
jene der letzteren Leo Graf Thun und Dr.
Palacky. Damals entwarf ein Berichterstat»
ter folgende Silhouette von Lichtenfels:
„Klein, zart gebaut und von sehr schwäch-
licher Constitution, besitzt er, von der Ferne
angesehen, einige Achnlichkeit mit dem Grafen
Rechberg und mit dem Grafen Brandts ,
nur daß den letzteren sein fast gelbes Haar
kennzeichnet. Tief liegende Augen, eine den
Denker verrathende Stirne. etwas hervor
tretende Backenknochen, eingefallene Mund'
winkel, im Ganzen aber ein geistvolles Ge»
sicht, so ist der Kopf deö Baron Lichten-
fels. Die körperlich unansehnliche Erschei-
nung leider noch mehr durch den schwachen
Organismus und beeinträchtigt in hohem
Maße die Wirkung des parlamentarischen
Redners. Baron 3. spricht correct, fließend,
logisch, eindringend in den Gegenstand, staats»
männisch, geistvoll, aber er spricht trocken,
tonlos und hat die Angewöhnung, die letzten
Worte jeder Periode bloß zu murmeln." —
Einige Aphorismen aus den im verstärk-
ten Reichsrathe gehaltenen Reden werden das
Bild dieses Staatsmannes vervollständigen
helfen. „Es kann nicht", sagte der Frei-
herr , „den einzelnen Kronländern über<
lassen werden, sich eine eigrne Gesetzgebung
zu bilden, sondern der Reichs rath hat zu
urtheilen, ob Gründe zur Ausnahme vorhan«
den sind oder nicht". (Verstärkter Reichsrath.
4. Sitzung vom 8. Juni 1860.) — „Wenn
es wahr ist, daß die Rechtsordnung und die
Sicherung der Rechte der erste Zweck des
Staates ist und den Hauptgrund bildet, aus
welchem die Menschen sich in den Staat
begeben, so kann es auch kein Zweifel dar»
über sein, daß eine kraftvolle Vertretung der
Justiz im Ministerrathe eines der ersten und
wesentlichsten Erfordernisse und daher das
Justizministerium eines der wichtigsten und
vorzüglichsten Ministerien ist". (10. Sitzung
vom 14. September 1860.) — „Das politische
Band, welches mehrere Nationalitäten zu einem
Staate verbindet, ist ein höheres als das
Princip der Nat ion al i tät. Oesterreich kann
nur durch eine innige Verbindung aller seiner
v. Wurzbach, biogr. Lerikon. XV. sGed Kronländer eine Großmacht sein. Zu dieser
innigen Verbindung ist aber die Beförderung
einer Sprache, welche ein allgemeines Ver-
kehrsmittel unter den Parteien untereinander,
und der verschiedenen Kronländer und selbst
mit einem großen Theile des gebilde-
ten Europa, mit welchem Oesterreich gleich-
falls in politischer Verbindung stchr, ein un»
erläßliches Erforderniß. Das Nationalitäts-
Princip aber, wenn es dahin ausgedehnt
würde, der Beförderung einer solchen Sprache
Hindernisse zu legen, oder die Nationalitäten
dadurch von einander abgeschlossen zu halten,
daß das gegenseitige Verständniß erschwert
wird, würde dadurch ein Princip der Zer»
setzung und würde weit eher dazu beitragen,
den Staatsuerband zu erschüttern, als zu
befestigen". (16, Sitzung vom 22. September
1860.) — „Eine Verfassung, welche nur eine
Verfassung für einen einzelnen Stano
wäre, würde in der gegenwärtigen Zeit wirk-
lich als gänzlich unmöglich angesehen werden
müssen". (18. Sitzung vom 23. September
1860.) — „Die Einheit des Staates verlangt,
daß alle Gesetze auf das Gesammtwohl des
ganzen Staates und nicht auf bloße Sonder»
interessen einzelner Theile gerichtet seien. Eine
solche einheitliche Richtung der auf das Ge-
sammtwohl des Ganzen gerichteten Gesetz-
gebung ist aber nicht denkbar, wenn in einer
Hälfte des Staates eine gesetzgebende Ver-
sammlung besteht, welche nach ihrer einseiti»
gen Ansicht Beschlüsse fassen, und daher durch
die Verschiedenheit, die in der Gesetzgebung
dadurch entstehen kann, bewirkt, daß die eine
Hälfte des Staates als Ausland der anderen
gegenüber steht". (Ebenda,) — „Ein gemein-
samer Aufschwung des Wohlstandes aller
Kronländer und die Entwickelung der mate-
riellen und geistigen Kräfte derselben ist nur
durch einen freien, alle Fäden des gesell-
schaftlichen Lebens durchdringenden Verkehr,
ein solcher freier Verkehr aber bloß durch
die Einheit in der Ciui lg es eh gebung
möglich. Denn ein solcher freier Verkehr for
dert vor Allem, daß jedes Rechtsgeschäft,
wo es immer geschlossen sein möge, überall
gleiche Giltigkeit und gleiche Rechtswirkung
habe, und daß die Rechte aus demselben
überall mit gleicher Schnelligkeit und Sicher-
heit durchgeführt werden können". (Ebenda.)
— „Wenn eine eigene gesetzgebende Corpora»
tion einmal geschaffen ist, dann muß sie auch
einen solchen moralischen Einfluß gewinnen,
daß selbst das Staatsoberhaupt nicht immer
. 23. Dcc. 1865.) 6
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Leon-Lomeni, Volume 15
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Leon-Lomeni
- Volume
- 15
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 499
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon