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wie nach einem Unaewitter aus heiterem
Himmel, wie nach Donner und Blitz, ver-
mischt mit Blumenregen und Blüthenschnee
und schimmerndem Regenbogen, und er steht
da. und lehnt sich wehmüthig, sonderbar
lächelnd, an einen Sessel, wie ein Aus»
rufungSzeichen nach dem Ausbruche der allge«
meinen Bewunderung. So ist Franz Liszt.
— Ein anderer Kritiker schreibt: „Liszt 's
Com Posit ionen können unmöglich mit
dem gewöhnlichen Maßstabe gemessen werden.
Es ist wahr: Man wirft ihnen vor. sie seien
ein Babel von gesuchten Schwierigkeiten, ba<
rocker musikalischer Gymnastik und akrobatisch«
akustischen Kunststücken; man vermisse an
ihnen jene Jean Paul'sche Zartheit und
Gefühlswärme, welche die Tondichtungen
eines Chopin und Henselt charakterisier
— allein ich möchte sie einem stolzen unbäw
digen Roß vergleichen, das keinen anderen
auf sich duldet, als seinen Meister und Herrn
und dessen ganze trotzige Wildheit nur dazu
dient, die volle Kraft und Bravour des
Reiters um so besser zu beurkunden." Was
aber Liszt's Spiel anbelangt, schreibt der»
selbe Kritiker: „Als ich Liszt in Wien
im Concert spirituel Beethoven's groß»
artige Symphonie spielen hörte, war es die
herrlichste Apotheose des unsterblichen Sha»
kespeare's der Töne, und er selber ganz
versunken in die inbrünstigste Andacht und
Verehrung deö großen Meisters. Da gab es
keine Zuthat von Verzierung und Schnörkelei,
das war die reine Beethoven'sche Poesie
und da standen die getreuen Anhänger classi-
scher Tonkunst, die guten alten Herren aus
der guten alten Zeit mit leuchtenden Blicken
und hochklopfenden Herzen und schüttelten
einander die Hände — und als nun die
Akademie vorüber war, da hörte man von
so Manchem die Versicherung, seit Beetho»
ven's Tode habe er keinen solchen Festtag
gehabt." — Liszt 's Biograph in den „Män-
nein der Zeit" schreibt: „Die Kompositionen
seiner ersten Periode dienten seiner Technik;
sie bestanden in Wagnissen der genialen aber
coquetten Virtuosität, die die Kunst nur
zum willkürlichen Spiel ihrer Künste macht,
in Arrangements. Uebertragungen fremder
Werke auf's Clauier, namentlich Beet ho«
v e n'scher Symphonien und Schubert 'scher
Lieder, in Paraphrasen und Illustrationen
namentlich auch schon in Transscriptionen
ungarischer Nationalmelodien, die er später
wieder aufnahm und schöpferisch umgestaltete. Sein Flügel sang; aber er ersetzte auch ein
ganzes Orchester. Hier lag das StaunenS-
werthe, womit er den Zauber der Geige
Paganin i 's noch überbot, weil er die
tiefsten und größten Ensemblestücke der deut-
schen Orchester-Instrumentation auf die Tasten
des bis zur Universität ausgedehnten Pianos,
freilich oft mit launenhafter Willkür, aber
mit titanenhafter Gewalt übertrug. In seiner
zweiten Periode verwarf Liszt seine bis'
herigen Compositionen. in denen der Ton den
Gedanken erzeugen, und versuchte Schöpfungen,
in denen der Gedanke den Ton hervorrufen
sollte. Er eröffnete sich als Symphonist einen
neuen Spielraum. Wagner glaubte an die
Endschaft der Instrumentalmusik, indem er
nachwies, daß Beethoven mit seiner letzten
Symphonie das Bereich der Töne durchbrach
und zum Worte, zum Schillerchor von der
Freude griff. Ton und Wort suchte Wag-
ner in einem neuen musikalischen Drama zu
verschmelzen. Liszt propaganoirte den Tann»
häuscr, den Lohengrin; aber er arbeitete für sich
selbst in anderer Weise am Fortschritt? der rein
instrumentalen Musik. Wir meinen nicht seine
Sonaten und Polonaisen, nicht seine Messe,
in der er den Gefühlsinhalt der Musik
neu schaffen wollte; wir meinen seine Pro»
grammmusik. Der bloße Ton soll hier nicht
nur etwas andeuten, sondern einen concreten
Inhalt, einen Gegenstand und eine Gestalt
vollständig und ohne Hilfe der Poesie malen,
beschreiben, fest hinstellen und erschöpfen. , . .
So schuf Liszt seine Faust'Symphonie und
seine zwölf symphonischen Dichtungen: „ O
hu'on sutsnä 5ur 1a montane«, die soge>
nannte „Bergsymphonie", „Tasso", mit dem
tze: „I^amsuto s trioulo", „k^siuäes",
„Festklänge", „Heldenklage" , „Hungaria",
„Dante", „Schiller<Ideale", „Hamlet". Daß
die neue Schule es unternimmt, die höchsten
Fragen der ganzen Menschheit musikalisch zu
lösen, ist ein Wagniß. Wagnisse des Geistes
sind immer bedeutend, namentlich der ärm«
lichen Beschränkung gegenüber, die der Geist
ängstlich sich selber stellt. „Brechen mit der
Schablone!" ist der Wahlspruch der Schule.
Mit Geist und Muth ausgerüstet, wird sie
ihren Kampf gegen den Schlendrian aller
Richtungen siegreich weiterfechten. Allein sie
wird sich um ihren positiven Beruf bringen,
wenn sie mit den Grenzen zugleich die Ziele
ihrer Kunst verkennt und überschreitet. Der
Streit über Liszt's symphonische Dichtun»
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Leon-Lomeni, Volume 15
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Leon-Lomeni
- Volume
- 15
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 499
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon