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Metaftasio Metastasio-
Einheit verletzte, den Charakter seiner Helden
selbst verflachte und seinem Style Gewalt
anthat; auch kann man ihm den zu häusigen
Gebrauch der Antithese vorrücken, ein Fehler,
welcher indeß den Dichtern seines Volkes im
Allgemeinen nur zu eigen ist. Da das lyrische
Drama seiner Natur nach fast stets einen
glücklichen Ausgang fordert, so hat der
Dichter häusig, um dieser Forderung zu
genügen oder um ein glänzendes Schlußchor
oder Finale herbeizuführen, sich genöthigt
gesehen, die tragische Handlung des Ganzen
zu unterbrechen und die Consequenz des
Charakters seinen Personen aufzuopfern, und
es schmerzt in der That, wenn man bedenkt,
daß so viele Opfer, welche das wahre Talent
dem losen Gesetze einer einmal angenomme«
nen Sitte brachte, heutzutage und jetzt schon
ganz umsonst und gleichsam ein weggeworfe»
nes Gut sind. Denn durch die schnellen und
ungeheueren Fortschritte, welche die Musik
innerhalb kaum eines Menschenalters gemacht
hat und wodurch in dieser Kunst ein ganz
anderes System herrschend geworden ist, ist
es geschehen, daß man mit Recht mehr
Ensembles-Stücke und eigentliche Finales
jetzt verlangt, und nicht wie ehedem mit einer
bloßen Aneinanderreihung von schönen Arirn
sich begnügt, und in sofern hatMctastasio
mit dem französischen Operndichter Quin«
au lt ein ziemlich gleiches Schicksal betroffen,
so daß seine Werke, wie die des Franzosen,
jetzt nicht füglich anders mehr in Musik
gesetzt werden können, als bis man sie vorher
überarbeitet, oder mit dem Kunstausdrucke
zu reden, arrangirt hat, welches nebenbei
bemerkt, oft schlecht genug geschieht. Dieß
Alles ist aber freilich nicht die Schuld des
immer großen Dichters, da er den Umschwung,
den die Tonkunst nahm. nicht voraussehen
konnte. obschon er selbst in dieser Kunst
keineswegs ein Laie war und sich selbst
schaffend in derselben mit Glück bewegte."
— Interessant, ja näherer Würdigung werth
sind die Gedanken, welche A. D u p i n
in seinem NL22.1 über Metastasio in
der „Rsvno äs I>aris" hinwirft. Mögen
Einige deren hier Aufnahme finden, weil sie
Zeugniß geben, wie der Dichter ursprünglich
ist verherrlicht und wie ein paar Iahrzehnde
später der einst so Gefeierte vergessen, ja
aller seiner literarischen Ehren entkleidet
worden. „Die Italiener ausgenommen", be
ginnt Dup in , „wie viele Menschen müßte
man wohl fragen, bevor ein Einziger die
v.Wurzbach, biogr.Lerikon. XVII I . Mdr . Antwort gäbe: Metastasio, ich habe dich
gelesen. Was man von ihm weiß, ist, daß
Vol ta i re , so schwierig in Geschmacksachen
und so besorgt er war für jeden Ruf, der
neben dem seinigen sich mehrte, Vo l ta i re ,
der nicht gerne Nebenbuhler in der Poesie
duldete, zwei Scenen von Metastasio in
der Art verherrlichte, daß er sie dem Schönsten
verglich, was Griechenland gehabt, und daß
er erklärte, sie seien Corneille's würdig,
wenn er nicht schwülstig, und Racine's,
wenn er nicht matt ist." —Jean Jacques
seinerseits begeisterte sich für den italienischen
Dichter und schrieb glühende Zeilen über
ihn, die in Aller Gedächtniß geblieben sind.
Der strenge Verfasser der „Soirsen von St.
Petersburg", durch einige Verse von Meta»
stasio verführt, erklärte dieselben für ,,un»
aussprechlich schön". Wir wollen noch erin«
nern, daß Meta stasio das Epitheton „Der
Göttliche" von Ippolito Pindemonte ge»
geben ist und die Worte Pindemonte's
haben Gewicht. Ganze Bevölkerungen ström-
ten Zu der Vorstellung dieser in unseren
Tagen so wenig gekannten Dramen, und
Metastasio hatte noch Jahre zu leben, als
schon vierzig Ausgaben seiner Werke, in
verschiedenen Ländern erschienen, in seiner
Vibliothek standen. Ist denn die jetzige Ge.
neration ungerecht? Muß Metastasio wirk«
lich in denkenden und ernsten Gemüthern
Spuren zurücklassen? Findet man in seinen
lyrischen Dichtungen Kraft. Wahrheit, Tiefe
des Gefühls und originelle und ungekünstelte
Schönheit des Ausdruckes? Hat er einige
dieser ewigen Typen zu schaffen verstanden,
deren bloßer Name genügt, eine ganze Welt
von Gefühlen und Ideen hervorzurufen?
Sind die großen Figuren seiner Dramen
eigenthümliche Erscheinungen, wie die deS
Aeschylus, wie die Shakespeare's.
Cornei l le 's. Goethe's? Entfernen sie
sich allein und schimmernd von gewöhnlichen
Wesen? Nein! Metastasio hat nicht den
Instinct regelloser und wilder Dreistigkeit;
auch starke Begeisterung entspringt selten
seiner Brust. Er entpreßt keinen Schrei des
Schreckens oder der Liebe, nie bringt er
tiefe Rührung hervor. Er ist der Mann von
ehrenwerthen Gefühlen, von einförmigen An»
sichten, von harmoniereicher und gewählter
Sprache, von künstlicher Aufregung; der von
dem Ruhme Torquato's, Corneille's
und Racine's geblendete Mann, der sich
bemüht, ihnen dadurch ähnlich zu werden
2. Sept. 1L67.) 2
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Metastasio-Molitor, Volume 18
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Metastasio-Molitor
- Volume
- 18
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1868
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 522
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon