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Pichler 232 Pichler
war allerdings der Stoss zu einem Cultur-
gemälde im größten Style gegeben, aber es
bedürfte einer größeren geistigen Kraft, um
diese Gegensätze nicht bloß anschaulich zu
machen, sondern auch Zu vertiefen. Karoline
Pichler schreibt einen Familienroman zur Er»
bauung edler Gemüther, den sie nur zufällig
in den Anfang des vierien Jahrhunderts nach
Christus verlegt; denn der rein und würdig
gehaltene Vciefstyl macht oft einen befremden«
den Eindruck, indem die Empfindungsweise
der Helden und Heldinen oft so wenig ro»
misch, so gouvernanthaft modern ist. Diese
Calpumien, Sulpizien, Larissen sind nur als
Römerinen verkleidete Freundinen unserer Ka-
roline Pichler. die sich einen Maskenscherz
machen, aus der Iägcrzeile nach Nom und
Kleinasien auswandern und ihre Männer zur
Abwechslung Severuö, Demetrius u. s. w.
nennen. Ohne Frage sind einzelne Reflexio-
nen im „Agathokles" sehr treffend ausgedrückt
und auch die romanhafte Technik ist mit
Glück gehandhabt, aber das ganze Werk ist
doch nur eine erbauliche Vorlesung mit ver-
theilten Rollen, ein apologetischer Briefdia»
log. keine geschichtliche Theodicee." — Am
eingehendsten spricht sich Iul . Se id l ih in
seinem „Die Poesie und die Poeten in Oester.
reich im Jahre 4836" (Grimma t837. I . M.
Gebhardt. 80.) Bd. I , S. 143, über die
Dichterin aus: „Unter dem halben oder gan«
zen Schocke Schnftstellennen, welche wir in
Deutschland haben, ragt Karoline Pichler,
eine freundliche und schöne Erscheinung, her«
vor. Nicht, daß sie als Dichterin so hoch ge-
feiert wäre. obgleich ihr Talent sich weit
über das gewöhnliche erhebt, aber was ihrem
Wesen diesen so gewinnenden Typus auf»
drückt, ist, daß sie nie das Weib verbergen,
die Gelehrte hervorziehen will. Sie takettirt
nicht so großartig mit Philosophie und Kri«
tik. scheint auch Hegel nicht in sich aufge.
nommen zu haben, wie die so gepriesene
und beinahe kanonisirte Nahel; sie besitzt,
wenn auch weniger Gefühl. Schönheitssinn
und Energie, doch mehr Weiblichkeit als die
Voethe'sche Katze Nettina; ihr fehlen die
unappetitliche Zudringlichkeit und die verwit,
terten Mondscheinaugen aller schriftstellernden
Damen. . . . Zu allen den genannten Classen
von Schriftstellerinen gehört die Pichler,
Dank ihrer gesunden Vernunft und ihrem
geläuterten Geschmacke nicht; aber es ist
eine andere Classe, zu welcher sie sich hin.
neigt, und welche eben so viel Schaden stif« tet, als alle früher berührten. Ich meine
nämlich die lärmende, augenzwickernde Clique,
deren Vorposten eine überspannte Sentimen»
talität und deren Nachläufer die Mystik ist.-
Ihr Roman „Agathokles", so schöne Einzel»
heiten er auch hat, macht eben darum keinen
ganz erfreulichen Eindruck, wir glauben uns
im Halbdunkel einer Kirche zu befinden, wo
das Licht durch schmale Fenster und auch
da nur durch in Glas gemalte Heilige ein«
fällt. Doch darüber dürfen wir mit einem
Weibe nicht rechten; was der Wucht des
Mannes eine schwanke Sumpfpflanze als
Stütze ist. wird dem Weibe zum festen
Stab; wo er zweifelt, schlägt sie gläubig ein
Kreuz. Dieser Roman begründete den Ruf
der Frau uon Pichler. ja er würde auch
heute noch Aufsehen machen, aber in ande«
rer Art. Damals als Roman, würde er
heute als Bekenntniß einer Christin beurtheilt.
Einen anderen Weg schlug sie in ihrem Ro<
mane „Frcmenwürde" ein. Hier zeigt sich
ganz die zartfühlende Menschenkennern, die
in den Kreisen der höheren Gesellschaft ein«
gebürgerte Dame, und man kann mit Sicher-
heit annehmen, daß sie der Funken war, der
in Madame SchopHenhaucr das poetische
Feuer entzündete. Wieder uon einer neuen
und keineswegs unvorteilhafteren Seite zeigt
sie sich in ihren historischen Romanen, nur
fehlt ihr hier die männliche Festigkeit, um
welthistorische Ereignisse mit eisernem Griffel
hinzuwerfen. Hier ist sir aus zu weichem
Stoffe geschnitzt. Die ernste Zeit will keine
Dame im Ballkleide, sondern ein marmornes
Gesicht, ein Auge. das vor dem vorbcischie«
ßenden Blitze nicht zuckt. Si? steht als ein
Mittelding zwischen Scott'scher Malerei und
Velde'6 hinreißender Phantasie, zu beiden
sich hinneigend, keinen ganz gebend. Zu
Scot t fehlt ihr das Talent, gewaltige Cha-
raktere festzuhalten, zu Velde ist sie zu sehr
Dame, um sich nicht im Ausmalen von Klei»
nigkeiten zu gefallen. Und doch waren es diese
Romane und vorzüglich „Die Belagerung
Wiens" und „Die Schweden in Prag",
welche durch eine ziemliche Reihe von Jahren
den Antheil des Pudlicums gefesselt und der
Verfasserin einen Ruf gesichert haben. Besser
als die größeren Arbeiten würden mir aber
einige ihrer kleinen Erzählungen und unter
diesen „Der schwarze Fritz" und „Olivier"
gefallen, weil sich in ihnen ein mehr abge<
schlossener Geist ausspricht und im kleinen
Bilde alle Züge Zu einem harmonischen Gan»
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Pergen-Podhradszky, Volume 22
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Pergen-Podhradszky
- Volume
- 22
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1870
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 534
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon