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geistig verkommen. Peter's Vater konnt
weder lesen noch schreiben, seine Mutte
aber hatte von ihrem Großvater, de
früher Schullehrer in einer Gemeind«
und spater Köhler war, die Buchstaben
kennen gelernt und konnte in der Kirche
ein Gebetbuch brauchen, was im Gebirge
schon große Gelehrsamkeit ist. Peter
als der Erstgeborne war bestimmt zum
dereinstigen Besitzer des elterlichen Hau
ses und hätte so des Schicksal seiner
armen Landsleute getheilt, aber es sollt
anders kommen. Im Jahre 1848 wnrd
in einer Nachbarspfarre ein alter Schul«
meister verjagt, da derselbe eine freie,
fortschrittliche Gesinnung bekundete. Brot
los kam der Verbannte in die kleine
Waldgemeinde Alpl und bot sich an,
daselbst von Haus zu Haus zu wanderr
und den Kindern das Lesen zu lehren
wenn man ihm Brot gebe. Da sich dei
alte Mann auch noch zum Streuhackei
und anderen häuslichen Verrichtungei
herbeiließ, so waren die Alpler bereit
ihn anzunehmen. Peter war damals
sünf Jahre alt und hatte nun Gelegen-
heil, lesen und schreiben zu lernen; er
war der getreueste und oft der einzige
Schüler des alten Lehrers. Dieser starb
indeß nach wenigen Jahren und Peter
sollte nun das Lernen wieder aufgeben;
cr war auch schon alt genug, sich den
bäuerlichen Arbeiten zu widmen. Er that
cs mit Fleiß, aber seine Seele war nicht
bci der Arbeit, die wandelte auf dem
Wege weiter, auf den sie durch den alten
Schulmeister geleitet wordm war. Peter
verschaffte sich einige alte, meist religiöse
Bücher, die er wiederholt durchlas, und
auS denen er seinem Vater oft halbe
Nachte vorpredigte und die Predigten
hernach nach eigenen Anschauungen er»
läuterte. Das waren Peter'S erste
Geistesübungen. Spater bekam er von einer alten Frau in Kneglach Reise«
beschreibungen, Wochenschriften und Ka-
lender. Nun ging dem Knaben ein Licht
über die Welt auf. Besonders einen mit
Bildern versehenen Volkskalender gewann
er lieb, und beschloß bei sich, jeden fol«
genden Jahrgang desselben zu kaufen.
Um aber diesen Kalender zu kaufen, hätte
Peter jahrlich 60 Kreuzer übrig haben
muffen. Da das natürlich nicht der Fall
war. fo verzichtete er auf den gedruckten
Kalender, nahm sich aber vor, sich auf
weit billigerem Wege so einen eigenen
Kalender anzuschaffen. Er kaufte sechs
Bogen Papier und Tinte und Feder, und
begann selbst ein solches Jahrbuch nach
dem Muster des Volkskalenders zu schrei«
ben. Er machte dazu eine Dorfgeschichte,
einige Gedichte, Beschreibungen u. f. w.
und illustrirte ste nach bestem Können
— da war das Buch fertig. Das war
Rosegger's erste schriftstellerische
Thät igkei t . Er sehte ste eifrig fort.
und wenn er auch tagüber bei den Arbei-
ten seines'Vaters helfen mußte, so saß er
in der Nacht beim großen Gesmdetisch
oder beim Backtrog oder Nudelbrett und
schrieb bei der mißlichen Kienspanfackel
Kalender, Zeitschriften und Bücher wun»
derlichsten Inhalts, oft religiösen, auch
weltlichen und humoristischen, aber stets
möglichst vornehmen Styles; er spielte
den Gelehrten. Die Leute, die solches
Treiben sahen, schüttelten die Köpfe, der
Vater ließ es jedoch geschehen, so lange
sein Söhnlein durch solche Dinge nicht
die Arbeit versäumte, sobald Peter aber
einmal von der Tageszeit ein Viertel»
stündchen zum Büchermachen benutzen
wollte, kam er mit der Ruthe und erin»
nerte ihn nachdrücklich an seine Pflichten.
So lange Peter zu den Wald» und
Feldarbeiten noch zu schwach war, mußte
r die Rinder hüten; da hatte er denn
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Rhedey-Rosenauer, Volume 26
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Rhedey-Rosenauer
- Volume
- 26
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1874
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 436
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon