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berühren und gar nicht zu berühren brau»
chen, und so ging denn sein Leben ohne
innere, durch religiöse Bedenken und
Zweifel hervorgerufene Stürme dahin.
Es sei, meint er, ein unphilosophisches
Unternehmen, den Glauben philosophisch
widerlegen zu wollen. Seine Devise lau-
tet: „Gebet dem Glauben, was des
Glaubens, und dem Wiffen. was des
Wissens ist." I n früheren Jahren hat
er die Ergebnisse seines Denkens in apho«
ristischer Form in Saphir 's „Humori»
sien", in den „Memorabilien der Zeit",
im „Phönix" und in einigen anderen,
meist auswärtigen Blattern niedergelegt.
Dabei stand er mit den feinen Geistern
seines Vaterlandes, die viel zu früh für
dasselbe, das unter mönchischem Zeloten«
thume und bischöflicher Zuchtruthe ver°
kümmerte, das Zeitliche gesegnet haben,
in engem Verkehre. Zu den Männern
seines Umganges zahlten F l i r , Schö»
nach, Schul er u.A. I n seinem Berufe
aber, als Caplan in der Irrenanstalt,
fand er das reichste, noch wenig gepflügte
Feld für seine geistige Thätigkeit und
das Studium der Geistesstörungen be»
schäftigte ihn vor Allem. Nachdem er
lange geforscht, untersucht, gelesen und
studirt hatte, trat er im Jahre 1332 mit
der ersten Frucht seiner Beobachtungen
und Studien über die menschliche Psyche
— die Titel seiner Schriften folgen auf
S. 242 — vor das Publicum, das in
dieser Arbeit bald erkannte, daß eS mit
einem selbstfchöpferischen Denker zu thun
habe. Er weist in seiner Schrift nach,
daß die Basis der Schuldzurechnung eine
höchst unsichere sei und unser Urlheil die
größte Behutsamkeit anzuwenden habe,
damit es nicht den Gestörten mit dem
Verbrecher, den Unschuldigen oder doch
Unzurechnungsfähigen mit dem wahren
Verbrecher vermenge. DieseS aus der
u. Wurzdach, diogr. Lcrikon. XXVII. ^Gcd Schule der Klagen und der Leiden, des
Elends und des Jammers, wie es in der
Vorrede ausgesprochen ist, hervorgegan-
gene Buch zeigt ebenso große Belefenheit
als eigenes Nachdenken, und ganz von
dem Geiste tiefer Humanitität durchweht,
empfiehlt es in der Kritik menschlicher
Fehler eine Milde und Schonung, wie
sie selbst bei den besten Christen nicht
immer zu finden ist. I n einer anderen,
mehrere Jahre spater erschienenen Schrift
liefert R. wichtige Beiträge zur richtigen
Beurtheilung der Delirien. Und auch in
seinen folgenden Arbeiten pflügt er nicht
das weite, unübersehbare Feld der „ewig
grauen Theorie", sondern immer auf den
Standpunct der Praxis sich stellend, gibt
er wohl durchdachte, eben durch seine eigene
Praxis erprobte Rathschlage, wie dem
Uebel zu steuern und wie man es besser
zu machen habe. So ist denn N. bei der
Pflege solcher Studien und im steten
Verkehre mit den vom Unglücke am
schwersten heimgesuchten Menschen all«
mälig zu einem vollendeten Menschen»
kenner geworden, der mit seinem tief»
dringenden Blicke in den Geheimnissen
der menschlichen Seele liest, ehe der
Mund dieselben verkündet, und dem die
Heilung der kranken Seelen besser ge«
lingt, als vielen anderen geistlichen und
weltlichen Aerzten. Caplan Ruf ist daher
die Zuflucht und der Gewissensrath aller
deren in der Umgebung, welche sich in
ihren Zweifeln nicht mehr selbst zurecht'
finden oder im Glauben einen Leitstern
suchen. Er hat für Jeden, der ihn heim»
sucht, eine Arzenei, welche ihn beruhigt,
und ihm, wenn möglich, den inneren
Frieden wieder gibt. Da?) auch solch ein
stiller und segensvoll wirkender Weiser
nicht unangefochten seinen Lebenöpfao
dahingehen konnte, versteht sich bei dem
Zwiespalte der menschlichen, aus Dämon
. 10. Mai l8?4.l 16
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Rosenberg-Rzikkowsky, Volume 27
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Rosenberg-Rzikkowsky
- Volume
- 27
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1874
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 386
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon