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Schubert) Franz Schubert, Franz
ausgeführter Situationen ist. Als solchen
Moment betrachten wir das einzelne Ge
dicht in den sogenannten Lieder«Cyklen.
Sie bilden recht eigentlich das Feld für
die moderne Lyrik. IedeS Lied ein in sich
abgeschlossenes und doch nur Theil eines
Ganzen. In den Lieder-Cyklen ist der
Componist gewissermaßen darauf ange«
wiesen, sein Gefühl zu concentriren, dem
Momente einen Ausdruck zu geben und
durch diesen mit seiner Zeichnung zu indi»
vidualifiren. Indem das einzelne Lied
einen bestimmten Moment aus der gan»
zen GefühlSsituation erfaßt, braucht der
Ausdruck des Inhalts sowohl wie der
Form nicht den Kreis, in welchem es sich
bewegen soll, zu überschreiten, sei es, daß
der Cyklus eine sich hinter einander ent»
wickelnde Reihe von Gefühlen darstellt,
sei eS, daß er, in einem Grundgefühle, in
einer Grundstimmung wurzelnd, dieselbe
in ihre einzelnen Momente aus einander
legt. Es zeigt sich dieß in den Cyklen:
„Die schöne Müllerin" und die „Winter«
reise". Diese Weise, in einer Reihe von
Liedern überhaupt ein Ganzes zu geben,
gehört der neueren Zeit an, und eS ist
wünschenswerth, daß talentvolle Lyriker
sich eine derartige Behandlung innerlicher
Situationen mehr angelegen sein lassen.
Dadurch werden die überspannten Zeit»
forderungen, welche man an das Lied
richtet, am angemessensten concentrirt.
Gehen wir auf die Lieder Schubert'S
näher ein, so ist vor Allem zu sagen, daß
Schubert in seiner innersten Natur ein
musikalisches Gemüth war. Er konnte
nicht anders, als musikalisch empfinden
und sich ausdrücken. Diese Eigenthum«
tichkeit feines Wesens schnitt ihn gewisser«
maßen von anderem geistigen Verkehre
ab und stellte ihn auf einen einseitigen
Standpunct. Schubert gehörte zu den
Künstlern, die sich um nichts bekümmern, als um ihre Musik. Es ist natürlich, daß
ein solcher Geist in seinen Werken sein
ganzes Wesen, mithin Vollendetes, aber
auck Mangelhaftes, Einseitiges, Halbes
darbot, weil ihm alle die Vermittelungs-
wege fehlten, durch die ein anderer Kunst«
ler, vermöge seiner allseitigen geistigen
Lebensanschauung, mit demselben Talente
begabt, Größeres leistet. Auch das bedeu«
tendste Talent bedarf des Ausruhens von
dem schöpferischen Walten, bedarf des
besonnenen, kritischen Blickes, um Kräfte
zu sammeln. Jedem aber wohnt das
Vermögen einer ausgleichenden Thätig»
keit nicht inne, und wie es Menschen
gibt, die man redselig nennt, die im
Reden Seligkeit empfinden, weil daS
Reden ihr Lebenselement ist, so möchte
man Schubert einen musikseligen Men«
schen heißen, der fein ganzes Innere
immer nur als Mufik nach außen kehrte;
Spohr gehört ebenfalls zu diesen eigen-
thümlichen Künstlernaturen. Sie leben
und weben nur in der Musik. Daß da
mitunter, vielleicht gar oft. auch Manches
geschrieben und in die Oeffentlichkeit
gegeben wird, was wohl daheim in dem
geistigen Schatzkästlein hätte zurückblei»
ben können, um zu recht lebensfrischen
Gestaltungen verwandt zu werden, ver»
steht sich von selbst. Wie es aber jeden-
falls auch im Leben höchst interessant ist,
Menschen von geistiger Bedeutung zu
begegnen, die ohne Scheu ihr ganzes
Wesen offenbaren, Schönes und Herr»
liches, Besonnenheit und Leichtfertigkeit,
geistige Kraft, glanzenden Witz und lang«
weilige Abspannung, die niemals mit
kritischem Blicke ihr inneres Wesen ab-'
runden, so gehört gerade nach dieser
Seite hin Schubert zu den anziehend,
sten Charakteren, welche die Musikge»
schichte aufzuweisen hat. Das ist der
Standpunct, den Schubert für sich als
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schrötter-Schwicker, Volume 32
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Schrötter-Schwicker
- Volume
- 32
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1876
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 406
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon