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) Johann Ludwig Johann Ludwig
Freundes auf das tiefste erschüttert. Schon
früher hatte er eine Stelle gesucht und
eine solche als Theater»Regisseur unter
der Direction des Grafen P ä l f f y
^Bd. XXI, S. 202) erhalten. Als dann
die Franzosen in Wien einrückten . ge«
lang es dem Poeten, sick dem Leibarzte
Napoleons, I . N. Corv isar t zu
nähern, der die „Aphorismen zur Er»
kenntniß und Behandlung der Ueber"
von Stol l 's Vater ins Französische über«
seht hatte. Corvisart interesfirtesich für
den jungen Mann. dessen drückende Lage
ihm bald bekannt geworden, und seinem
Fürworte gelang es, ihm eine Borstet«
lung bei Kaiser Napoleon zu erwir«
ken, der dem verarmten Sohne des b?>
rühmten Arztes eine kleine Pension aus»
setzte. Dieser Umstand, wie ferner die
Thatsache, daß S t o l l , als der Auf-
ruf zur Bildung einer Landwehr erging
und Alt und Jung sich begeistert unter
die Fahnen schnürte, eS unterließ, gleich»
falls dem Waffenrufe zu folgen, machte
ihm die Wiener feindlich gesinnt, und
er verlor seinen Posten als Theater-
Regisseur. So in schwere Bedrangniß
versetzt, welche sich nur noch steigerte,
als nach N a p o l e o n s Abgang von
Wien seine Pension mit einem Male
ausblieb, fristete er mit Schriftstellers
kümmerlich sein Dasein. Aus dieser Zeit
verdanken wir Gräffer. der den Dichter
persönlich kannte, einige Nachrichten über
denselben. G raffer schreibt: „Um fetrle
kärgliche Existenz zu fristen, fuhr S t o l l
fort, literarisch thätig zu sem. Alsbald
las man an den Straßenecken affickirt:
Bei Geistinger ist erschienen: „Neo>
terpe. Schnecken - Almanach von I . 3.
S t o l l " . Dieses geniale Product. an
welcbem übrigens die G o e t h e'sche
Schule nicht zu verkennen, machte Ein»
druck; selbst die Franzosen, wenn sie auch nur einigermaßen deutsch verstan«
den. fanden Geschmack daran, schon ge»
reizt durch die von G r ü n e r dabei
befindlichen frappanten Bilder. S t o l l
wohnte im erzbischöflichen Gebäude auf
dem Heidenschuß, ober dem Freiherrn
von Retzer in einer ärmlichen Stube,
in der er auf einem Rechaud den gan»
zen lieben Tag hindurch schwarzen Kaffee
kochte und ihn leidenschaftlich trank. Mit
ihm bekannt, wollte ich ihn beschäftigen.
Ick sprach von einer ausführlichen Bio»
graphie S ch il le r's. S to l l war gleich
bereit dazu, versicherte, viel noch Unbe-
kanntes zu wissen, da er m!t dem Dich»
ter persönlichen Umgang gehabt, wies
mir auch zwei Briefe S ch i l l e r's an
ihn. Ich schaffte das Material, mußte
einen Geldvorschuß leisten, erhielt aber
kein Manuscript. Von S to l l wendete
ich mich ab, übertrug die Sache dem
gebildeten und geistreichen nachmaligen
Domprediger Khünl ^Bd. XI , S. 237)
und das Buch erschien unter dem Titel:
„Biographie Schil ler's und Anleitung
zur Kritik seiner Werke". Da es Absatz
fand, so verfiel ich auf eine andere bio»
graphische Speculation, machte mich, da
eS dem Manne doch gar so schlecht ging.
wieder an S t o l l . kam aber ebenso
arg an. Dem guten S t o l l war leider
nicht mehr zu helfen. Der edle Iustinus
Kerner wird das selbst eingesehen ha«
ben". So Graf fer , an dessen Glaub»
Würdigkeit in diesen Sacken nicht zu
zweifeln ist. WaS nun Iustinus K e r«
ner betrifft, den Ersterer am Schlüsse
nennt, so nahm er sich wahrend feiner
bereits erwähnten Anwesenheit in Wien
des verlassenen S t o l l warm an.
Tr erkannte in ihm, den er noch
in spaten Jahren, wenn er dessen im
Gespräche dachte, „den guten lieben
Sto l l " nannte, den wahrhaft genialen
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon