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Vörösmarty 180 Vörösmartl)
Europa, auf die Heimstätte der Völker beruft,
vereinigt sich der specifisch ungarische Patrio-
tismus mit den Interessen der Menschheit.
Dieses Gedicht wurde der Nationalhymnus
des sich verjüngenden Ungarn." So Gyulay.
Das liest sich prächtig auf dem Papier, aber
man gehe nur hinab ins Land der Theiß und
lerne an Ort und Stelle, wie die Magyaren
diese hochsinnigen Tendenzen verwirklichen
und die Gleichberechtigung praktisch üben! —
Eines der geistvollsten Urtheile über Vörös'
marty fällt Sz<5kely swohl Joseph Sz6<
kely, Bd.XI. i l , S. 19). Er nennt Porös«
marty „eine souveräne Größe"; mit dem
Edelmuthe und der Kraft des Löwen ver-
einigt sich in seinem Herzen die Milde der
Taube, in das sich nie die Galle ergoß. Dem
Adlerschrounge seiner Phantasie, welche die
reine Luft der Höhen suchte, schloß sich Herr»
!ich seine wohlthuende Gemüthsinnigkeit an,
die unwiderstehlich anzog und entzückte. Und
hätte er sonst nichts gethan, als daß er
Petüf i in die Literatur einführte, so würde
dieser Schritt allein den schönen Namen, den
cr trug, Dichtervater, rechtfertigen. (Und
wie hat es ihm Petöf i vergolten! Und das
nennt sich Poet, das wie Wolf über Hund
herfallt und ihn zerfleischt!) Vörösmarty 's
Lyrik besitzt gewiß kein so oolksthümliches
Element als Petö f i ; dieser stolze Reiher
übertrifft vielleicht den Schwan stiller Teiche,
des Letzteren Lieder sind vielleicht nicht so frisch
und üppig, doch durchweht auch sie der Athem
ewiger Jugend. Nicht jedes Lied Petöfi 's
ist ein Stern, jedes Lied Vörös marty's
aber ist eine goldene Aehre. Ist Petöf i
mächtiger in der Form, so ist Vörösmarty
in dem Gedanken überwältigend. In jenem
sprüht Feuer. Muthwille. Flattersinn, an
diesem zeigt sich Tiefe. Innigkeit und Correct«
heit, in jenem herrscht schrankenloser Ehrgeiz,
dräuender Zorn, in diesem Mäßigung und
frommer Sinn, in jenem Schönheit, in diesem
Anmuth, in jenem Liebe, in diesem Zärtlich»
keit. in jenem Höhe. in diesem Majestät; bei
jenem bestechen glänzende Bilder, prickelnde
Funken, bei diesem zieht Ruhe und Gefühls'
innigkcit unwiderstehlich an; jener ist ein
brennender Wald, dieser ein Hain, der in
den Strahlen der Sonne badet; jener ein
Nordlicht, dieser die Sonne auf ihrem Zenith.
Vörö smart y's epische Ader entquoll
keiner so unbedingten Quelle, als die Ar any's;
er steig: nicht hinab in die niedersten Schichten
des- Volkes, schöpft nicht so oft aus den! Volkssagcn, benützt keine gebrauchte Form^
besitzt keine so große Technik, die poetische
Conception ist vielleicht weniger unabhängig,,
beruht nicht auf so klarem psychologischen.
Grunde, doch um so mächtiger und schöner
ist die Sprache, die er schreibt, der Gegen«
stand größer, den er besingt, der Horizont
feenhafter, in dem er sich bewegt, die Men»
schen markirter, das Pathos tragischer und-
beredter seine Phantasie. Die Helden Arany's
stehen in Eisen da, doch ist bei Vöröö.
marty's Helden das Herz eisern, die Brust,
von Stahl. Was jener durch seinen Humor
bezwingt, das besiegt dieser in einem regel»
rechten Zweir'ampfc. Vörös marty's dra»
matische Poesie versenkt sich bei weitem,
nicht so tief in die Nationalgeschichte, gehört
auch nicht jener Schule an, der Katona
gehuldigt; ist im Zeichnen nicht so prägnant,
wie dieser, ist auch nicht so objectiv, doch hat
er ein Verdienst, welches Katona — obwohl,
er ganz Geniales und Ursprüngliches schuf —
nicht besitzt. Vörös marty hat die dra>
matische Sprache geschaffen. Als No-
vellist ist Vorös marty vielleicht nur mit,
dem einzigen Ioka i zu vergleichen. Er hat
wohl das Romanschreiben weder in diesem
Umfange, noch in dieser Productivität vev
sucht, er besitzt sie nicht, dirse zügellose Phaw
tasie, diese mystische Sprache, den rosigen.
Humor, die glücklichen Gestalten; doch ist
das Gemüth verwandt, Gedanke und Gefühl
entströmen in diesen beiden Schriftstellern
einer Quelle. I6ka i scheint alle jene Eigen»
schaften, die ^arl K is fa ludy, Paul Ko>
ua cs, Kuthy, Eütvüs. Kem 6 n y, Ignaz
Nagy. Päl f fy . Iäsika und Anderen als,
Novellisten und Nomanschreibern eigen sind.
in sich zu vereinen, ohne daß er seine enorme
Kraft mit immer gleichem Glück benutzen
könnte, oder daß er ein so geregeltes Talent,
wäre, wie Ä e m 6 n y oder Eötvö 6; V ö r ö s<
marty uereint die Glanzseiten all dieser
Schriftsteller in sich. und wenn er auch. wie-
bereits erwähnt, von einem oder dem anderen
in emer gewissen Richtung überragt wird.
kann sich jedoch, was Vielseitigkeit, Sprache,,
Gedankenreichthum anbetrifft, Niemand mit
ihm messen. Als Prosaist ist er nur mit
Bajga. der das schönste Ungarisch schreibt,
und dem glänzenden Stylistikcr Csengery.
zu vergleichen. Als Etymologen haben
ihn nur Czuczor und Hunfa lvy erreicht.
An Gelehrsamkei t wetteifert er mit.
Toldy." —BaronKemeny über Vörös-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Villata-Vrbna, Volume 51
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Villata-Vrbna
- Volume
- 51
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon