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Vucetich 12 Vucetich
hütete sie in der Kindheit barfuß Schafe
und junge Ziegenböcke auf den Felsen
ihrer Heimat. Unter den einfachsten,
wenn nicht dürftigsten Verhältnissen, trat
sie in den sechzehnten Lenz, als ihre
Eltern das Zeitliche segneten. Die kleine
Heerde, welche dieselben hinterließen,
wurde zwischen Stane und ihren beiden
Brüdern getheilt, welch' Letztere in der
Regel das etwas gefährliche Gewerbe
von Schmugglern, wozu die dortige Ge«
gend mit der nahen unwegbaren Grenze
die beste Gelegenheit bot, nebenbei aber,
wenn sich gerade Anlaß fand, das edlere
von „Helden" betrieben. Mit den Brü-
dern konnte die Schwester nicht ziehen,
sie packte also ihre Siebensachen in ein
Bündel und marschirte mit ihrem Spinn-
rocken im Gürtel in die zwei Stunden
entfernte Stadt Budua, in welcher sie
einen passenden Dienst suchte und an>
stellig und verläßlich, wie sie war, auch
bald einen solchen fand. Als Lohn er»
hielt sie monatlich einen Gulden, eine für
die dortigen Lohnverhaltnisse glanzende
Bezahlung; dazu bekam sie jährlich ein
neues rothes Kappchen, welches sie, wie
alle Madchen jener Gegend, über ihren
prachtvollen braunen Haarstechten trug.
Bereits hatte sie acht Jahre gedient und
ebenso viele Ducaten erspart, als der
Zufall einen Matrosen, Namens Mirko
Vucetich nach Budua führte. Diesem
Manne gefiel die schöne Stane, und
als er von ihren ersparten acht Ducaten
hörte, gefiel sie ihm noch mehr. Die Ein-
leitungen zu einer Werbung durch eine
alte Freundin der Stane waren bald
getroffen; die Sache ging ihren gere-
gelten Gang, und da das Madchen „ja"
sagte, so fand in drei Wochen die Hoch-
zeit statt. Volle vier Tage nach derselben
hielten die Ducaten an, dann waren sie
verputzt. Nun fuhr Mirko nach Trieft, um „Geld zu verdienen"; er schiffte sich
aber nach Odeffa ein und soll dort vom
Schiffe desertirt sein, denn man hat von
ihm seit jener Zeit nichts mehr gehört.
Und so war Stane Vucetich mit ihrer
bunt bemalten Truhe, welche ihr ganzes
Hab und Gut — nunmehr ohne Du»
caten — barg, und in der Anwartschaft
auf einen Leibeserben, allein zurück«
geblieben. Sie brachte einen Knaben zur
Welt, mit welchem sie bei einer gut'
herzigen alten Verwandten nothdürftig
Unterkunft fand. Um aber für sich und
ihr Kind Brod zu verdienen, wurde sie
Botengängerin. Sie versah ihren Dienst
zwischen Budua und Cattaro zu einer
Zeit, als die PostVerbindung zwischen
beiden Orten noch höchst mangelhaft
war, in musterhafter Weise und erfreute
sich bald allgemein großen Vertrauens.
Da brach im September 1869 die Schild-
erhebung der Bocchesen aus, welche, um
nicht Soldaten werden zu muffen, sich
lieber mit der österreichischen Armee'
schlugen. Die Communicationen zu Lande
waren gesperrt, die Dampfer verkehrten
nicht, und Stane Vucetich, die Boten»
gängerin, wurde nun plötzlich eine
äußerst gesuchte und wichtige Person.
Von Seite der Armeeleitung sollten Be>
fehle in dieses oder jenes detachirte Fort
gesendet werden. Die Forts selbst waren
von den Insurgenten cernirt, die Wege
dahin, alle Fußpfade in den Felsen»
gebirgen der Bocca, kaum für Ziegen zu
erklimmen, von Insurgenten besetzt. Da
hieß es, entweder bedeutende Truppen»
theile aufbieten und noch dazu viele
Menschenleben opfern oder zur List und
Heimlichkeit die Zuflucht nehmen, um ein
Schreiben in ein Fort gelangen zu lassen
und die Verbindung mit den abgeschnit»
tenen Truppentheilen aufrecht zu er«
halten. Es blieb also nichts übrig, als
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vrčevic-Wallner, Volume 52
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Vrčevic-Wallner
- Volume
- 52
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 342
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon