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Merner, Zacharias Werner. Zacharias
gebot von Costum und Decuration das
Höchste zugemuther, ohne die Grenzen der
scenischen Möglichkeit zu überschreiten. Darin
lag aber unmittelbar der Uebergang in das
Opernhafte, das bei Werner noch durch die
Neigung seines Gemüthes zum Phantasti-
schen begünstigt wurde. In der That spielt
der Gesang in den verschiedensten Abstufungen
vom einfachen Volkslieoe bis zum Chorale
und bis zu jeder Art der Kirchenmusik eine
große Rolle in den Werner'schen Stücken,
die sich zum Theil in die Oper auflösen. Die
gespenstischen Gestalten und die verschiedenen
Geister, die einmal nothwendig zum Rollen«
repertorium seiner Stücke gehören, mußten
ihre Geheimnisse Musicalisch ausplaudern, da
der Inhalt derselben zu bodenlos war. um
sich in der gewöhnlichen dramatischen Weise
aussprechen zu lassen. Bei Shakespeare
sind die Geister dramatische Gestalten, haben
ihre bestimmten Zwecke und greifen wesentlich
in die Handlung ein. Die Werner'schen
Geister aber sind um ihrer selbst willen da.
legendenartige Figuren, die ihren eigenen
Vergnüglichkeiten nachgehen. Sie tauchen aus
einem mystischen Urgründe auf, der wie eine
zweite dunkle Welt hinter dieser ersten steht
und sein Geheimniß nur in banger Ahnung
den Gemüthern erschließt. Die klare Entfal-
tung des Lebens muß für ungenügend gelten,
wenn sie nicht das Symbol für irgend eine
ungekannte Tiefe ist. Daher das ewige Sym«
bolisiren bei Werner, das Ineinander»
schachteln von mysteriösen Einwirkungen, das
Hineinragen einer Traumwelt und ihrer Phä«
nomene in die wirkliche; daher seine Vorliebe
für den geheimnißvollen Formalismus des
Ordenswesens, für Alles, hinter dem sich viel
suchen, bei drm sich viel denken läßt, wenn
auch nie ein klarer und bestimmter Inhalt.
Diese Geisterwelt mit ihren Geheimmitteln
muß uns auch über die Rohheit der sinn-
lichen Martern hinwegheben, die uon Wer<
ner mit großer Vorliebe und Virtuosität ge»
schildert werden. Werner ist darin ein
wahrer Hunne — auf einige Foltergrade
mehr oder weniger, auf das Todtschlagen mit
Keulen, das Zerren bei den Haaren, das V?r<
brennen in den Flammen, das Sieden in
großen Kesseln u. d. m. kommt es ihm weiter
nicht an; ja er wählt gern solche barbarische
Stoffe, bei denen haarsträubende Gräuel ein
unumgängliches Zubehör sind. Je gröber der
Körper angepackt wird. desto feimr verhim«
mclt die Seele, desto mystischer ist ihre ^ Ekstase. ^>o hängt die Grausamkeit mit Wol«
luft und Andacht zusammen. In d?r That
ist Werner's Geisterwelt nur eine raffinirte
Sinnenwelt, in der sich das ätherisirte Be»
dürfniß in ekstatischer Weise ausspricht, denn
das ist das Geheimniß aller mystischen Licbe.
So bietet uns dieser Dramatiker das merk'
würdige Schauspiel, das anscheinend Unver»
trägliche in sich zu vereinigen, eine derb
naturalistische Charakteristik und eine subli«
mirt phantastische Tendenz." — Nun läßt
G o t t s c h a l l eine eingehende Prüfung
der „Söhne des Thales", des Dramas „Das
Kreuz an der Ostsee", des „Luther". „Attila",
„24. Februar" und der „Mutter der Makka«
bäer" folgen. Wenn auch in Gotisch all's
Urtheil die Voreingenommenheit des Prote«
stanten nicht fehlt, so ist er doch duldsamer
als der schonungslose Goedeke, gründlicher
denn der als Literarhistoriker leichtfertige
Laube und gründlicher als Wolfg. Men»
zel. der von seinem Standpunkte aus den
katholischen Werner denn doch zu ober«
ftächlich nimmt, wenn man auch in einer
Literaturgcschichte nicht einen literarischen
Essay fordern kann. wie ihn Eichen vor ff
in seinem Werkr „Die neuere romantische
Poesie in Deutschland" Werner in liebe«
voller Pietät (S. j j8—j6j) widmet, auf
das wir auch alle Freunde dcr Werner'»
schen Muse, alb auf eine tief eingehende
Charakteristik des Dichters verwriftn wollen.
— Heinrich Laube über Werner. „Bei
diesem merkwürdigen (Zyniker sind die Bezie»
hungen zur romanischen Schule stärker.
Feindlich, aber wahr beginnen sie in der ersten
Hälfte seines Lebens, hingebend, ja sich ver»
loren gebend in der zweiten Hälfte. Die
Stürme einer nach Poesie ringenden Epoche
zeigen sich an diesem leidenschaftlichen Manne
grell, erschreckend und nach allen möglichen
Seiten hin, er ist wie ein Kompendium
solcher schwerer Geschichtsepoche, und Druck,
Papier und Einband desselben sind obenein
uon unreinlichster Arti Demüthige Anmaßung,
hoffärtige Zerknirschtheit. Schwäche der stärk«
stcn Talcntkraft, begeisterter Schwung der
Ohnmacht toden und sterben in ihm wie
Weihe der Kraft und Weihe der Unkraft in
seiner literarischen Welt. Er beginnt im
lustigsten, muntersten Unglauben, ein Zuhörer
Kant's, ein bakchischer Priester des sinn»
lichen Genusses, und er endigte als ascetischer
Priester der katholischen Kirche. — Die
Mutter Wernec's ist von großer Wichtigkeit
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Weninger-Wied, Volume 55
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Weninger-Wied
- Volume
- 55
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon