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äußerst selten vorkam. Er verfolgte bei
der Leitung seines Kunstinstitutes keine
selbstsüchtigen Zwecke, es wäre denn. daß
er demselben seinen poetischen Genius
nicht opfern wollte. Aber als er erkannte,
die Bühne energisch leiten und zugleich
der Poesie huldigen, sei unvereinbar, da
war auch sein Entschluß gefaßt, und wenn
er auch Opfer brachte, er war mit sich
selbst einig, und ker Director mußte dem
Poeten weichen. Als ersterer hatte er
wahrend der sechsthalbjährigen Leitung
33 Novitäten, 32 Neueinftudirungen und
120 Reprisen gebracht. Unter den Novi-
täten finden wir Werke der heimischen
Dichter Nissel, Greif und Keim,
dann Werke von Hcyse, (5aro, Blu-
menthal, Nötel , Wildenbrucd,
Doczy und Tr i esch. Von seinen eigenen
Dichtungen führte er uns nur „Afsunta
Leoni", „Johann Ohlerich" und „Kriem-
hild" und von seinen Bearbeitungen
Calderon's „Dame Kobold", „Der
Arzt seiner Ehre" und „Der Richter von
Zalamea" vor. Die neuere dramatische
Literatur des Auslandes ist durch die
Franzosen P a i l l e r o n , S a r d o u,
Ohnet, die Russen Turgenjew und
Gogol und den Norweger Björnson
vertreten. Von den Classikern der alten
und der neuen Literatur brachte er
Sophokles' „Elektra", „König Oedi-
pus" und „Oedipus in Kolonos" und
Goethe's Fausttrilogie. Die Aufsah-
rung dieser letzteren, wie der Labdakiden-
tragödien und der Stücke Calderon's,
an welchen er nicht bloß als Director,
sondern auch als Dichter mitthätig ge-
wesen, leuchtet in seiner dramaturgisch-
directorialen Wirksamkeit besonders her-
vor. Unter den Bühnenkräften, die er neu
gewann — eine Aufgabe, bei der in
unseren Tagen völliger Kunsthinfalligkeit
und überwuchernder Virtuosenschablone große Schwierigkeiten zu überwinden
sind, ohne jene weiblichen Bühnengenies
zu rechnen, welche, nachdem sie im Leben
Gretchen gespielt, nun, um auf der Bühne
erste Heroinen zu tragiren, einem Di»
rector officiel aufoctroyirt werden — sind
die Damen Barsescu und Dumont
zu nennen. So stellt sich denn aus dieser
allgemeinen Uebersicht heraus, daß Wi l'
brandt weder die heimischen Autoren,
noch jenc vom Reiche draußen, noch auch
das französische classische Repertoire ver-
nachlässigt, ja daß er sogar dem modernen
Pariser Sittenbilde, nachdem dasselbe
durch den Brand des Stadttheaters seine
Stätte verloren, Einlaß an der Hof-
bühne gewahrte, und dieser flüchtige Um-
riß genügt für den Nachweis, daß es das
Bestreben Wilbi;andt's war: dem
Burgtheater, als der ersten deutschen
Bühne, die höchsten künstlerischen Auf«
gaben zu stellen und mit der lebendigen
zeitgenössischen dramatischen Production
Fühlung zu unterhalten, so weit dies
eben der vornehm umschriebene Gesichts-
kreis des altberühmten Kunstinstituts zu-
läßt. Auszeichnungen sind dem Dichter
als solchem mehrere zutheil geworden:
für sein Trauerspiel „Gracchus der Volks»
tribun" wurde ihm 1873 der Grillparzer«
preis zuerkannt; für seine Gesammt»
leistungen als dramatischer Dichter er»
hielt er 1878 vom deutschen Kaiser den
großen Schillerpreis, und König Lud-
wig I I . von Bayern verlieh ihm mit dem
Maximilianorden für Kunst und Wissen-
schaft 1884 den persönlichen Adel. Nun
folgt die Uebersicht der Schriften Wil»
b randt's, welche sich in literarhistorische
und poetische, diese letzteren in lyrische,
dramatische und erzählende gliedern.
I. Uebersicht der Werke W
ttbrandi'g.
k) Literar«
geschichtliches und Biographisches. Hein«
richoon Kleist, Eine literar-historische Mo»
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Volume 56
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wiedemann-Windisch
- Volume
- 56
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon