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^ Charlotte 88 Walter, Charlotte
furchtbar sich gestaltende Kampf ums
Dasein, aus welchem endlich der Genius,
der in ihr wohnte, sie siegreich heraus-
führte auf jene glänzende ruhin umstrahlte
Höhe, welche zu erreichen nur wenigen
Auserwählten gegönnt ist. Die Tage des
Kampfes aber schließen wir mit den
wenigen Worten, welche einer ihrer Bio-
graphen gebraucht, wenn er schreibt:
„Sie hatte zu ringen von dem ersten
Augenblicke, in dem sie die Bühne betrat,
hart zu ringen mit einein widrigen Ge<
schick, ehe ihr ein ermuthigender Sonnen-
strahl des Erfolges lächelte. Was sie
an Entbehrungen, Enttäuschungen und
Kränkungen auf diesem langen Wege zur
Ruhmeshalle erfahren hatte — es würde
Tausende abschrecken und zurückführen in
die ärmlichen, kleinlichen Verhältnisse, in
denen sie allmälig verkümmern unge»
kannt und ungenannt." Nachdem Char»
lotte einige Monate in Wien bei Gott-
dank Unterricht genommen hatte, ging
sie i857 nach Pesth. wo sie am 23. Mai
zum ersten Male auftrat, und zwar als
Jane Eyre in dem Effectftück „Die
Waise aus Lowood". Ihr zweites Debüt
war die Deborah in Mosenthal's
gleichnamigem Stücke. Der rheinlandische
Dialekt, den sie von Haus aus sprach,
machte ihr nicht bloß im Anfange, son-
dern auch später noch einige Schwierig'
ketten und beeinträchtigte manchen durch
Auffassung, Spiel und äußere Grschei»
nung berechtigten Erfolg; aber sie gesiel
doch, und schon hatte sich ihre Zukunft
zu lichten begonnen, als der Director mit
einem Male die Auszahlung der Gagen
einstellte. Nun war die mittellose Zu»
kunftstragödin dem Loose einer herum»
ziehenden Wandertruppe preisgegeben,
und noch dazu in Ungarn, wo man sich
weniger um die Kunst, als um Wahl»
kämpfe kümmerte. Nach längeren Wan- derungen aus einer Provinzialstadt in die
andere, auf denen sie ihre letzten Hab»
seligkeiten einbüßte, kam sie endlich nach
Wien und in das Carl°Theater, an wel-
chem damals Franz Treu mann und
Nestroy die maßgebenden Persönlich?
keiten waren. Nach einem Probespiele
wurde sie mit einer Monatgage von
50 st. für kleine Rollen engagirt und mit
solchen meist in abgeschmackten Possen
verwendet. Wahrend eines Gastspiels,
das Hendrichs auf dieser Bühne gab,
und welches Veranlassung wurde, daß
Laube dieselbe besuchte, fiel sie diesem
in einer unbedeutenden Rolle durch ihre
Erscheinung auf. Laube aber hatte bald
„instinctmäßig", wie er die ironische Be-
merkung seiner Nachbarin im Theater,
bestätigte, auch den geistigen Kern in der
freilich reizenden Hülle — denn seltene
Schönheit hatten Charlottedie Götter
als Angebinde in die Wiege gelegt —
erkannt, und er ließ die Schauspielerin
nicht mehr aus dem Auge. Seinen Be»
mühungen gelang es. zunächst ihr ein
Gastspiel in Brünn zu verschaffen. Dort
trat sie als Mar ia Stuart , als
Adrienne 3 ecouvre ur und als M a r>
qnise in den „Feenhänden" auf und
genoß schon damals ebenso die Triumpye
ihrer Schönheit, als ihres wenngleich
noch immer nicht abgerundeten, aber doch
durch die elementare Gewalt ihrer Leiden»
schaft eine große Zukunft versprechenden
Spiels. Schon war man auf sie auf»
merksam geworden, und sie erhielt einen
Antrag nach Berlin, den sie auch an»
nahm. Wie es ihr dort erging, erfahren
wir aus folgenden Zeilen: „Unsere be>
scheidene, ideal schöne EharlotteWol»
ter ist als Hermione in Shake>
speare's „Wintermärchen" aber auch
gar zu lieb. Das ist nicht nur ein Talent,
das ist ein Genie." Thatsächlich gehört
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wolf-Wurmbrand, Volume 58
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wolf-Wurmbrand
- Volume
- 58
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1889
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon