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und der Sorgfalt, welche er dieser Arbeit
widmete, kam allmälig sein eigentliches
Talent zum Durchbruch, und er ent-
wickelte sich bald zu einem tüchtigen Or<
nnmentisten in Zeichnung und Kompo-
sition. Als er dann die Rechtsstudien
beendigt hatte, war er einige Zeit als
Hofmeister thätig, in welcher Stellung
ihm Muße genug übrig blieb, sich in der
ihm liebgewordenen Nebenbeschäftigung
weiter auszubilden und zu vervollkomm-
nen. Zuerst arbeitete er für eine kleme
Wiener Firma, dann für August Klein,
und zuletzt wurde er in Weidmann's
Lederkunstarbeiten-Fabrikangestellt. Nach-
dem er einige Jahre in derselben thätig
gewesen, eröffnete er 1872 in Gemein^
schaft mit I . Kölbel ein kunstindustriel-
les Atelier, das bald zu ausgezeichnetem
Rufe gelangte. Dabei wirkte er in seinem
Fache auch schriftstellerisch und richtete
sein ganzes Sinnen und Trachten auf
die Wiederernenerung der alten verloren
gegangenen Ledertechnik, über deren Be»
deutung er sich bald vollkommen klar
geworden war. Darin kam ihm eben
seine humanistisch classische Vorbildung
trefflich zu statten, und er wurde, wie es
in einem ihm gewidmeten Nachrufe heißt,
ein „Kunsthandwerker im edelsten Sinne
des Wortes". Wohlvertraut mit der
Geschichte der Kunst, ging er nicht irre,
sondern zielbewußt auf die richtigen
Muster los, deren Bedeutung ihm auch
klar vor Augen stand. Das Erste, was
er nun vornahm, war, nach alten Mustern
der Hofbibliothek und des österreichischen
Museums die alte Lederintarsia zu ver» ^
suchen, welche er endlich meisterhaft zu
Stande brachte, so daß seine Arbeiten
mit den etwas früheren und gleich»
zeitigen der Franzosen und Englander
den Wettbewerb aufs beste aushielten. ^
Ueber die bei dieser Technik nach der ^ Reihe vorzunehmenden Arbeiten hat er
auch unter dem Titel „Hllciduergaldnag"
ein kleines Tableau für Schüler und
Arbeiter dieses Faches eingerichtet, das
ohne jede Beschreibung sofort verstand-
lich wird und die ganze Technik durch
den bloßen Anblick förmlich lehrt. Nach-
dem er dieses eine Ziel erreicht und in
vollendeter Weise in dasselbe einschlägige
Arbeiten hergestellt hatte, wurde er durch
einen in Lederplaftik durchgeführten
Bucheinband aus dem 16. Jahrhundert,
der im Besitze des österreichischen Mu-
seums war, angeregt, auch diese völlig
verschollene Technik zu erneuern. Obwohl
bereits nicht unbedenklich leidend, unter-
zog er sich doch diesen anstrengenden Ar
beiten und löste nach halbjährigen mühe-
vollen Versuchen die schwere Aufgabe in
vollkommenster Weise. Auch darüber ver-
faßte er eine Lehrdarstellung und in einem
Briefe an den damaligen Vicedirector
des österreichischen Museums, I . Falke,
eine Beschreibung dieser Technik, welche
von Camillo Si t te in der unten ver«
zeichneten Quelle mitgetheilt ist. Wun»
der war übrigens nicht allein Decorateur
als Zeichner, sondern auch praktischer
Arbeiter. Das Schwierigste an allen
besseren Stücken, welche aus seinem
Atelier hervorgingen, pflegte er durch«
aus mit eigener Hand anzufertigen, und
die von ihm herrührenden Arbeiten zeich«
nen sich durch große Genauigkeit, Gö>
schmack und Vollendung aus. Mit seinem
Geschäftsgenossen hatte er auch die
iener Weltausstellung 1873 beschickt,
und die Prachteinbände, Cafsetten, Leder»
bilder, Zederrahmen, Fächer u. s. w. aus
einem Atelier fanden allgemeine Aner»
kennung; sie behaupteten sich neben den
Arbeiten aus den Fabriken Klein und
Weidmann und übertrafen manche
derselben in der stylgerechten Anordnung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wolf-Wurmbrand, Volume 58
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wolf-Wurmbrand
- Volume
- 58
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1889
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon