Seite - 18 - in Die Liebe der Erika Ewald
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verkündigte, und in der Luft zitterte ein leiser blaßrosa Ton. Erika war ein
wenig müde geworden und, um sich auszurasten und ein wenig auch aus
Neugier gingen sie in ein kleines Wirtshaus am Wege, aus dem ihnen
fröhliche Stimmen in buntem Durcheinander entgegen klangen. Im
Garten setzten sie sich nieder; an den Nachbartischen saßen Familien aus der
Vorstadt, bessere Leute mit gemütlichen Mienen und lauten ungezwungenen
Stimmen, die den Sonntag nach Wiener Art mit einem Ausflug feierten.
Rückwärts in einer Laube waren ein paar Musikanten, drei oder vier Leute,
die am Wochentag in der Stadt bettelnd herumzogen und nur des Sonntags ein
Dach über sich hatten. Aber sie spielten die alten abgeleierten Volksweisen
recht gut, und wenn sie einen besondersflotten und populären “Schlager”
begannen, so fielen bald alle Stimmen ein und sangen die Melodie aus voller
Kehle mit. Auch die Frauen stimmten ein, niemand genierte sich, alles war
hier Gemütlichkeit und behäbige Zufriedenheit.
Erika lächelte ihm über den Tisch zu, aber ganz verstohlen, daß sich
niemand beleidigt fühlte. Ihr gefielen diese schlichten
unkomplizierten Leute mit den einfachen Empfindungen und Trieben, die sich
nicht verbergen konnten. Und ihr gefiel die behaglich-ländliche Stimmung,
die kein fremder Einschlag trübte.
Der Wirt, ein breiter, gutmütiger Mann kam mit jovialem Lächeln zum
Tisch her. Er hatte in seinem Gast einen vornehmeren Mann bemerkt, den er
selbst bedienen wollte. Er fragte, ob er ihm Wein bringen dürfe, und als das
bejaht wurde, erkundigte er sich, ob das Fräulein Braut auch etwas wünsche.
Erika wurde blutrot und wußte ihm im ersten Augenblicke nichts zu
antworten. Dann nickte sie nur verwirrt mit dem Kopf. Ihr “Bräutigam” saß
gegenüber, und obwohl sie ihn nicht ansah, fühlte sie seinen lächelnden Blick,
der sich an ihrer Verwirrung weidete. Sie schämte sich eigentlich, wie
ungeschickt sie sich benahm einer naturgemäßen Verwechslung halber, aber
sie wurde das peinliche Gefühl nicht mehr los. Und mit einem Male war ihr
die Stimmung verdorben, jetzt fühlte sie erst, wie abgehackt und
maschinenmäßig die Leute ihre Lieder abdudelten, jetzt erst hörte sie das
häßliche Brüllen und Poltern der Bierbässe, die in toller Freude mitjohlten.
Am liebsten wäre sie weggegangen.
Aber da begann der Geiger ein paar seltsame Takte. Mit weichen süßen
Strichen spielte er einen alten Walzer von Johann Strauß, und die andern
stimmten schmiegsam in die weiche, liebe Melodie ein. Erika fühlte wieder
erstaunt, was für zwingende Macht die Musik über ihre Seele habe, denn mit
einem Male war eine Leichtigkeit in ihr und ein Wiegen und Schweben. Und
die Süßigkeit der Melodie ließ sie fremde Versworte mitsingen, ganz leise
mitsummen, ohne daß sie es recht wußte. Sie spürte nur, daß wieder alles gut
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik