Seite - 20 - in Die Liebe der Erika Ewald
Bild der Seite - 20 -
Text der Seite - 20 -
so schmerzhaft und verzehrend werden sollte wie jedes Glück, das ihr
begegnet war, wie die wehmütigen und leisen Bücher, über denen sie weinte,
und die doch ihr liebstes waren und wie die brennenden Wellen der Tonfluten
in Tristan und Isolde, die ihr höchste Seligkeit bedeuteten und sie doch
quälten wie ein Schmerz. Das Schweigen drückte sie immer mehr und mehr
und wurde wie ein dunkler, schwerer Nebel, der sich schmerzhaft auf ihre
Augen legte. Allmählich befreite sie sich erst aus ihrer Bangigkeit. Sie wollte
ein Ende machen, ihn klar und offen fragen.
»Mir ist so, als wollten Sie mir etwas verschweigen. Was ist Ihnen?«
Einen Moment blieb er ruhig. Dann sah er sie an mit dunklen,
unbeweglichen Augensternen. Er überlegte und sah sie nochmals an, tiefer
und sicherer, und seine Stimme klang seltsam voll und melodisch.
»Ich habe es lange nicht gewußt. Seit kurzem weiß ich es erst. Ich – sehne
mich nach Ihnen.«
Erika erbebte. Sie hatte die Augen zu Boden gerichtet, aber sie spürte, daß
er sie ansehe, tief, fragend, durchdringend. Sie dachte nun an das letzte Mal,
wie sie bei ihm war und er sie geküßt hatte. Sie hatte ihm damals nichts
gesagt, aber ihr Herz war ungestüm erwacht, sie wußte nicht, ob in Zorn oder
Scham. Und das Bangen hatte sie erfaßt, das sie sonst spürte, wenn er so
glühende und leidenschaftliche Lieder spielte, jenes selige Grauen mit
Abgründen und Seligkeiten ohne Ende. Was sollte jetzt kommen? O Gott, o
Gott!… . Sie fühlte, daß er weitersprechen würde und sehnte sich danach und
fürchtete sich doch. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte die Felder sehen, ja,
den Abend, den herrlichen Abend. Nur nichts hören, nichts hören. Nur die
Stadt ansehen mit ihrem dunklen Nebel, die Stadt und die Felder. Und die
Wolken da oben… . Die Wolken, wie sie rasch am Himmel segelten! Ganz
wenige waren noch oben. Eins … zwei … drei … vier … fünf … ja fünf
Wolken… . Nein! Nur vier waren es!… .. Vier… ..
Aber da begann er zu sprechen.
»Ich habe lange Angst gehabt vor meiner Leidenschaft, Erika! Ich habe
immer geahnt, daß sie kommen werde und habe es nie glauben wollen. Nun
ist sie da. Ich weiß es, seitdem Sie das letzte Mal bei mir waren, seit gestern.«
Einen Moment schwieg er und holte Atem aus tiefster Brust.
»Und – das macht mich traurig, unendlich traurig. Ich weiß, daß ich Sie
nicht heiraten kann, ich weiß, es würde mich meine Kunst kosten. Das kann
kein Fremder verstehen – Sie werden es verstehen, meine liebe, liebe Erika.
Nur ein Künstler kann das verstehen, und Sie haben eine reiche, unendlich
reiche Künstlerseele. Und Sie sind auch klug. Wir können nicht mehr weiter
20
zurück zum
Buch Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik