Seite - 35 - in Die Liebe der Erika Ewald
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blendendes Licht sieht. Und sie fühlte eine warme Blutwelle, wie sie ihn sah,
gleichsam emporgetragen von diesem dunklen, schweigenden Meer, das die
funkelnden Gläser und suchenden Blicke wie zitternde Schaumkämme
durchglänzten. Und sie fühlte sein Spiel und wieder die ganze zauberische
Gewalt von einst. Und wie die Töne wuchsen und anschwollen, so füllte sich
auch ihr Herz. Lachen und Weinen war in ihr, ein Fluten der Erregung, warme
zitternde Wellen. Sie fühlte Jubel, Jubel aus tausend sonndurchglänzten
Springstrahlen in ihr Herz sprudeln, sie fühlte es selbst aufschäumen zu ihrer
Kehle wie den jauchzenden Strahl einer aufzuckenden Fontäne. Wieder
verführte sie die Stimmung der Musik wie eine Blinde, die keinen Weg weiß
und sich willig der fremden und lieblichen Hand vertraut. Und als dann der
Jubel losbrach und dieses dunkle Meer im Saale, das gleichsam in
bezaubertem Schlafe gelegen war, plötzlich in wilder, tosender Brandung
aufschäumte, als von allen Seiten ein überwältigender Beifall dröhnte, da
rauschte ein jäher Stolz in ihr empor. Ihre Seele jubelte bei dem Gedanken,
von ihm begehrt worden zu sein. Alle Häßlichkeit und Herbe jener Minuten
war zerronnen in diesem stolzen Bewußtsein, in dieser siegenden Stunde
seines Künstlertums.
So ward dieser Abend ein lauteres und tiefes Fest für ihre suchende und
unruhige Seele. Nur eine Frage drängte sie, ob er ihrer wohl noch gedachte.
Und sie war ganz Demut in jener Stunde, eine Sehnsüchtige, die nur begehrt,
sich verschenken zu dürfen. Sie dachte nicht mehr an sich und nur mehr an
ihn, sah nur sein Verlangen und seine Inbrunst in dem lockenden Geigenspiel
und nicht mehr Töne und Melodien.
Und da kam ihr eine seltsame und unendlich beseligende Antwort. Nach
langen Beifallsstürmen hatte er sich noch zu einer Zugabe entschlossen. Und
nur ein paar schlichte, langsame Takte hatte er gespielt, als Erika erblaßte. Sie
lauschte und lauschte wie gebannt. In herbem Erschrecken hatte sie das Lied
erkannt, das Lied jenes ersten seltsamen Abends, da er es ihr zuliebe in die
Dämmerung gestammelt. Und sie träumte von einer Huldigung. Sie fühlte,
daß es ihr gesungen sei, zu ihr gesungen sei. Sie hörte es nur als Frage, die
über alle andern zu ihr hinabtastete in den Saal, sie sah eine Liedseele, die in
den dunklen Saal flog, um sie zu finden. Eine rasche Gewißheit schaukelte sie
in selige Träume. Sie verstand ein Geständnis, daß er ihrer, nur ihrer mehr
gedachte. Und Seligkeiten brausten auf sie nieder. Wieder war es die Musik,
die sie betörte und über alle Wirklichkeiten hob. Sie fühlte einen Flug nach
oben, menschenhoch und erdenfrei. Fast so wie damals in jener Stunde, als sie
hoch über der fernen, brausenden Stadt zusammen standen. Nur höher noch,
viel höher über Schicksal und Welt, über allen Kleinlichkeiten und Bedenken.
In den wenigen Minuten dieses Spieles überflog sie in seligem Traume alle
Schranken und Wirklichkeiten.
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik