Seite - 40 - in Die Liebe der Erika Ewald
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junger Mensch, ganz jung, der nichts davon verstand, nichts wußte, der sollte
es sein, der erste beste… ..
Und plötzlich antwortete sie ihm mit so hastiger Liebenswürdigkeit, er
dürfe sie begleiten, daß er beinahe wieder schwankend wurde, mit wem er es
zu tun hätte. Aber ein paar Fragen, das Opernglas, das sie vom Konzert
mitbrachte und ihr vornehmes Benehmen, veränderten seine
oberflächliche Haltung zu ihr. Er blieb recht befangen. Eigentlich war er noch
ein halbes Kind, das in einer Uniform sich so seltsam ausnahm, wie in einem
kriegerischen Maskenkostüm; und seine bisherigen Abenteuer waren so
simpler Natur gewesen, daß sie keine Abenteuer mehr waren. Zum ersten Mal
sah er sich einem wirklichen Rätsel gegenüber. Denn manchmal blieb sie
Minuten still und unbeweglich, überhörte alle Fragen und ging wie im Traum,
bis sie dann plötzlich wie mit einer provozierten Zärtlichkeit, die sie im
Augenblick vergessen hätte, mit ihm lachte und scherzte; aber manchmal
wollte es selbst ihm so erscheinen, als sei im Lachen ein falscher Ton.
Und in der Tat kostete es Erika nicht geringe Mühe, die Rolle einer
Entgegenkommenden und Leichtsinnigen zu spielen, während ihr die tollsten
Gedankenreihen durch den Kopf schwirrten. Sie wußte, was das Ende sein
würde, und sie wollte es, aber eine geheime Angst beschlich sie immer
wieder, daß sie gegen sich selbst frevle. Aber das Bedürfnis nach Rache, das
sich positiv nicht betätigen konnte, hatte hier ein Mittel gefunden, sich zu
entfalten, wenn auch in einer falschen Richtung, die die Spitze gegen sich
selbst kehrte, aber es war so überströmend und machtvoll, daß sich ihre
frauenhaften Empfindungen vergebens dagegen aufbäumten. Mochte
geschehen, was da wolle, sollte eine Reue kommen … .. nur nichts wissen
von jener Schmach … .. nur vergessen, wenn auch in einem Rausch, einem
künstlichen und einem verderblichen … . aber nur nicht mehr daran denken
müssen… ..
So nahm sie auch gern den Vorschlag des Freiwilligen an, mit ihr in ein
Restaurant in ein separiertes Zimmer zu gehen, obwohl sie dumpf ahnte, was
das bedeutete. Aber sie wollte nicht daran denken … .. nur nicht sich immer
besinnen müssen… ..
Zuerst kam ein kleines Souper, dem sie aber nicht zusprach. Aber Wein
trank sie, in gieriger Hast, Glas auf Glas, um sich zu betäuben. Ganz gelang
ihr es noch nicht. Manchmal übersah sie die ganze Situation mit furchtbarer
Klarheit. Sie betrachtete ihr Gegenüber. Das war eigentlich der Rechte, besser
hätte sie sich ihn nicht wünschen können: ein guter Kerl, von einer gesunden
rotwangigen Derbheit, ein bißchen eitel und nicht zu klug … . der würde nie
ahnen, was in dieser Nacht geschehen sei, was für eine Rolle er gespielt in
einem armen gequälten Menschenleben … .. der würde sie übermorgen
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik