Seite - 58 - in Die Liebe der Erika Ewald
Bild der Seite - 58 -
Text der Seite - 58 -
Willkommengruß zu erwidern. Längst hätten alle Kräfte versagt, aber es war,
als triebe der Wille allein ihn noch vorwärts und die furchtbare Angst, er
könnte sich verspäten und möchte das leuchtende Antlitz nicht mehr schauen,
das seine Träume erhellte. Und der höhnische Gedanke, daß er ihm schon
nahe sei, nur mehr zwei armselige Stunden von der heiligen Stadt, drohte ihm
das Gehirn zu zersprengen.
Bis zu einem Hause am Wege schleppte er sich noch fort. Mit letzter Kraft
warf er den knorrigen Wanderstab gegen die Tür und bat die öffnende Frau
mit trockener und fast unhörbarer Stimme um einen Trunk. Dann brach er
ohnmächtig über der Schwelle zusammen.
Als er wieder zur Besinnung erwachte, fühlte er wieder sichere und frische
Kraft in seinen Gliedern. Er fand sich in einem kleinen Raum von
wohltuender Kühle auf einem Ruhebette ausgestreckt. Und überall die Spuren
einer mildtätig-sorglichen Hand; sein glühender Körper war mit Essig
gewaschen worden und sorgfältig gesalbt, und neben seinem Lager stand
noch das Gefäß, aus dem man ihn gelabt.
Sein erster Gedanke galt der Zeit, und er sprang rasch vom Lager, um nach
der Sonne zu sehen. Die stand noch hoch, denn es war erst früher Nachmittag,
so daß er wenig Zeit versäumt hatte. In diesem Augenblicke trat die Frau ins
Zimmer, die ihm früher das Tor geöffnet. Sie war noch jung und dem
Aussehen nach eine Syrierin; wenigstens hatten ihre Augen jenen dunklen
raubtierartigen Glanz der Frauen dieses Volkes, und ihre Hände und
Ohrgehänge verrieten die kindliche Freude am Schmuck, die allen diesen
Frauen eigen ist. Ihr Mund lächelte leise, als sie ihm Willkommen in ihrem
Hause bot.
Er sagte ihr warmen Dank für ihre Gastfreundschaft, wagte es aber nicht,
gleich vom Abschied zu sprechen, so sehr ihn auch sein Herz auf den Weg
drängte. Und nur ungern folgte er ihr in das Speisegemach, wo sie ihm eine
Mahlzeit vorbereitet. Dort hieß sie ihn mit einer Gebärde sich niederzulassen,
fragte ihn dann nach seinem Namen und um das Ziel seiner Reise. Und bald
kamen sie ins Gespräch. Sie begann von sich zu erzählen, daß sie die Frau
eines römischen Centurio sei, der sie aus ihrem Heimatlande entführt hatte
und hierhergebracht, wo ihr das Leben in seiner Eintönigkeit, fern von ihren
Stammesgenossen, wenig behage. Heute bliebe er den ganzen Tag in der
Stadt, denn Pontius Pilatus, der Statthalter, habe die Hinrichtung dreier
Verbrecher angeordnet. Und so sprach sie noch allerlei gleichgültige Dinge
mit viel Geschäftigkeit, ohne auf seine unruhige und ungeduldige Miene zu
achten. Und manchmal sah sie ihn mit einem eigentümlich lächelnden Blick
an, denn er war ein schöner Jüngling.
Zuerst bemerkte er von alldem nichts, denn er achtete nicht auf sie und ließ
58
zurück zum
Buch Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik