Seite - 63 - in Die Liebe der Erika Ewald
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bewundernden Betrachtung auf.
»Das hat keiner von den Unsrigen gemalt.«
Der Kaufherr nickte zustimmend mit dem Kopf.
»Ein Italiener war es. Ein junger Maler. Aber das ist eine ganze Geschichte.
Ich will sie Euch von Anfang an beginnen, und Ihr selbst sollt es sein, wie Ihr
wißt, der Ihr den Schlußstein setzt. Doch seht: die Predigt ist zu Ende, wir
wollen für Historien andern Platz suchen als die Kirche, wiewohl ihr unser
Bemühen und gemeinsam Werk gelten wird. Laßt uns gehn!«
Der Maler blieb noch zögernd einige Augenblicke stehen, ehe er sich vom
Bilde abwandte, das immer leuchtender zu werden schien, in dem Maße, als
die rauchige Finsternis sich zu erhellen strebte und der Dunst immer goldener
um die Fenster sich wölbte. Und es war ihm fast, als würde, wenn er
andächtig betrachtend zurückbliebe, die sanft-schmerzliche Falte dieser
Kinderlippen sich in ein Lächeln verlieren und neue Holdseligkeit ihm
offenbaren. Doch sein Begleiter war schon vorausgegangen, und er mußte
seinen Schritt beschleunigen, um ihn noch beim Portale zu erreichen.
Gemeinsam, wie sie gekommen waren, traten sie aus der Kirche.
Aus dem schweren Nebelmantel, den der Vorfrühlingsmorgen der Stadt
umgehängt hatte, war ein matter, silberner Flor geworden, der wie ein
Spitzengewebe sich an den gegiebelten Dächern verfangen. Das enggesteinte
Pflaster glänzte feucht-atmend wie Stahl, und schon begann sich das erste
Sonnenflimmern goldig darin zu spiegeln. Der Weg der beiden ging durch die
schmalen verwinkelten Gassen dem hellen Hafen zu, wo der Kaufherr
wohnte. Und da sie langsam dahinschritten, in Gedanken und Erinnerung
verloren, führte des Kaufherrn Geschichte schneller hin zum Ziele als ihrer
Schritte träumerischer Gang.
»Ich hab Euch schon erzählt,« begann er, »daß ich in jungen Jahren in
Venezia war. Und um nicht lang zu zögern: ich trieb es nicht sehr christlich.
Statt meines Vaters Contor zu verwalten, saß ich in Schenken mit dem jungen
Volk, das dort den lieben Tag in Saus und Braus verbringt, trank, spielte,
wußte auch schon manches freche Lied und manchen bittern Fluch über den
Tisch zu donnern, wie die andern. An Heimkehr dacht’ ich nicht. Das Leben
war mir leicht, wie meines Vaters Worte, die er mir dringender und drohender
von Hause schrieb: man kannte mich und hatte ihn gewarnt, daß mich das
Luderleben noch verschlingen würde. Ich lachte nur, manchmal mit Ärgernis:
ein rascher Schluck von diesem dunkelsüßen Wein schwemmte mir alle
Bitterkeiten weg, und tat’s nicht er, so tat’s ein Dirnenkuß. Die Briefe riß ich
auf und bald entzwei: mich hatte ganz der böse Rausch gefaßt, ich dachte nie
mehr loszukommen. Doch eines Abends ward ich alles frei. Sehr seltsam
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik