Seite - 64 - in Die Liebe der Erika Ewald
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war’s, und manchmal fühl’ich’s heute noch so, als hätte sichtbarlich ein
Wunder meinen Weg gebahnt. Ich saß in meiner Schenke: heut noch seh’ ich
sie mit ihrem Qualm und Dunst und meinen Kneipgesellen. Auch Dirnen
waren mit, und eine war sehr schön; wir trieben’s selten toller als in dieser
Nacht, die stürmisch war und sehr unheimlich. Plötzlich, als eben eine
unzüchtige Historie dröhnendes Lachen weckte, trat mein Diener ein und gab
mir einen Brief, den der Kurier von Flandern gebracht hatte. Ich war sehr
ärgerlich, weil ich die Briefe meines Vaters ungern sah, denn sie mahnten
mich unablässig an meine Pflicht und an ein christlich Tun, zwei Dinge, die
ich längst im Wein ersäuft hatte. Ich wollt’ ihn nehmen: da sprang der eine
meiner Kneipgesellen auf, ein schöner Bursch, geschickt und aller ritterlichen
Künste Meister. »Laß doch den Unkenschrei! Was geht’s dich an!« rief er und
warf den Brief hoch, riß seinen Degen rasch heraus und stieß geschickt das
niederflatternde Blatt tief in die Wand, daß die blaue geschmeidige Klinge
zitterte. Er zog sie vorsichtig zurück – der geschlossene Brief blieb an seiner
Stelle. »Da klebt die Fledermaus,« lachte er. Die andern schlugen in die
Hände, die Dirnen sprangen freudig zu ihm auf, man trank ihm zu. Ich lachte
selbst, trank mit, zwang mich zu toller Fröhlichkeit, in der ich Brief und
Vater, Gott und mich vergaß. Wir gingen fort, ohne daß ich noch des Briefes
dachte, zu einer andern Schenke, wo unsre Fröhlichkeit zur Torheit wurde.
Ich war berauscht wie nie, und eine der Dirnen war schön wie die Sünde.« –
Der Kaufherr blieb unwillkürlich stehen und strich sich mit der Hand
mehrmals über die Stirne, gleichsam, als wollte er ein unerfreuliches Bild von
sich abstreifen. Der Maler merkte rasch die Peinlichkeit der Erinnerung und
sah ihn nicht an, sondern ließ seinen Blick wie neugierig auf einer
raschsegelnden Galeone ruhen, die sich mit vollen Segeln dem Hafen näherte,
in dessen farbigem Gewirre die beiden langsam angelangt waren. Das
Schweigen dauerte nicht lange, und der Erzähler fuhr mit Hastigkeit fort.
»– Ihr könnt Euch denken, wie es wurde. Ich war jung und verwirrt, sie
frech und schön. Wir gingen zusammen, und ich war voll Unrast und
Begierde. Aber ein Sonderbares geschah. Als ich in ihren buhlerischen Armen
lag und sich ihr Mund an meinen preßte, da ward diese Zärtlichkeit mir nicht
wilder, gern erwiderter Genuß, sondern in wunderbarer Weise mahnten mich
diese Lippen an den sanften Abendgruß im Elternhause. Mit einem Male,
wundersam und kaum glaublich, fiel mir in den Armen der Dirne meines
Vaters zerknüllter, zerstoßener, ungelesener Brief ein und mir war, als fühlte
ich den Stoß des Gesellen in meiner blutenden Brust. Ich fuhr auf, so
unvermittelt und blaß, daß mich die Dirne erschreckten Blickes befragte, was
mir zugestoßen sei. Aber ich schämte mich meiner törichten Angst, und ich
schämte mich dieses fremden Weibes, in dessen Bett ich gelegen und deren
Schönheit ich genossen, ohne ihr den törichten Gedanken eines Augenblickes
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik