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Gelübde habe ich zu lösen gesucht. Bald nach meiner Ankunft ließ ich den
Altar errichten, den Ihr gesehn habt, und bot alle Mühe auf, ihn würdig zu
schmücken. Da ich aber unbekannt war in den Geheimnissen, nach denen ihr
Eure Kunst zu werten wißt und der Muttergottes ein würdiges Bild weihen
wollte, so wie sie mir ihr Wunder geoffenbart, schrieb ich an einen treuen
Freund nach Venedig, er möge mir den Tüchtigsten der Maler senden, den er
kenne, daß er mir das Werk meines Herzens würdig vollende.
»Monate vergingen. Eines Tages stand ein junger Mann vor meiner Tür,
berief sich seiner Sendung und entbot mir Gruß und Brief meines Freundes.
Der italienische Maler, dessen wunderbaren und seltsam traurigen Gesichtes
ich mich noch wohl besinne, glich durchaus nicht den lärmenden und
großsprecherischen Kumpanen meiner Venezianer Zechgelage. Eher hätte
man ihn als Mönch empfangen, denn als Maler, weil sein Habitus schwarz
und lang war, seine Haare schlicht gereiht und sein Antlitz von jener
vergeistigten Blässe der Nachtwachen und Askesen. Der Brief bestätigte nur
jenen günstigen Eindruck und zerstreute meine Bedenken ob der Jugend des
Meisters; die alten Maler, schrieb mir mein Freund, seien in Italien stolzer als
Fürsten, und es hielte schwer, sie auch mit dem verlockendsten Angebot aus
ihrer Heimat zu entfernen, wo sie umringt seien von Freunden und Frauen,
von Fürsten und Volk. Diesen jungen Meister habe nur der Zufall bestimmt:
die Sehnsucht, wegen eines ihm unbekannten Grundes Italien zu verlassen,
sei ihm dringender gewesen als alles Geldes Angebot, denn man kenne auch
daheim des jungen Malers Wert und wisse ihn zu ehren.
»Es war ein stiller verschlossener Mann, den mir mein Freund gesandt. Nie
habe ich von seinem Leben etwas erfahren, nur dunklen Andeutungen
entnahm ich, daß eine schöne Frau schmerzlichen Anteil an seinem Geschicke
habe und er um ihretwillen die Heimat verlassen. Und, wiewohl ich keinen
Beweis dafür habe und mich solches Tun ketzerisch und unchristlich anmutet,
so meine ich, daß jenes Bild, das Ihr gesehn und das er im Verlauf weniger
Wochen ohne Vorbild und mühsame Bereitung aus der Erinnerung gemalt,
jener Frau Züge erhalte, die er geliebt. Denn immer, wenn ich zu ihm kam,
fand ich ihn, wie er das gleiche süße Antlitz, das ihr gesehen, von neuem
versuchte oder träumend in seiner Betrachtung verweilte. Und als ich nach
des Bildes Vollendung in heimlicher Angst ob der Gottlosigkeit, eine Dirne
als Gottesmutter zu malen, ihm anbefahl, für das zweite Bild eine andere
Gestalt zu wählen, da blieb er stumm. Und des nächsten Tages, als ich zu ihm
ging, war er ohne ein Wort des Abschieds von hinnen gereist. Ich trug
Bedenken mit diesem Bilde den Altar zu schmücken, doch der Priester, den
ich befragte, verstattete es ohne jegliches Besinnen… ..«
»Und er hat recht getan,« fiel der Maler beinahe erregt ein. »Denn woher
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik