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sollten wir die holde Schönheit unserer lieben Frauen zu schildern wissen,
wenn nicht von der Schönheit jeder Frau, die uns begegnet. Sind wir nicht
nach Gottes Bilde geschaffen und muß nicht, um das Vollkommenste
darzubieten, das Vollendetste unter den Menschen eine, wenngleich nur matte
Folie des Unsichtbaren sein! Seht! Ich, den ihr bestimmt, das zweite Bild zu
schaffen, ich bin einer der Armen, die nicht zu malen wissen ohne die Natur,
denen es nicht gegeben ist, von innen zu bilden, sondern die in mühsamer
Nachzeichnung des Wahrhaftigen ihr Werk erschaffen. Nicht meine Liebste
würde ich wählen, um die Mutter Gottes würdig zu bilden, denn es wäre
sündhaft, die Unbefleckte durch einer Sünderin Antlitz zu sehen, aber ich
würde nach Schönheit spüren und diejenige malen, deren Antlitz mir am
meisten unserer Gottesmutter Züge zeigte, wie ich sie in meinen frommen
Träumen erschaut. Und glaubt, obgleich eines sündigen Menschen Antlitz,
wenn ihr in frommer Hingebung es schafft, bleibt nichts von Schlacken der
Begehrlichkeit und Sündhaftigkeit in diesen Zügen, ja dieser wunderbaren
Reinheit Zauber wirkt oft weiter als ein Zeichen in der irdischen Frauen
Angesicht. Dies Wunder meint’ ich oftmals selbst zu sehn.«
»In jedem Fall – Euch traue ich. Ihr seid ein reifer Mann, der viel geduldet
und gelebt, und so Ihr keine Sünde darin findet… «
»Im Gegenteil! Ich find’ es lobenswert, und nur die Protestanten
wie andere Sektierer eifern gegen den Schmuck des Gotteshauses!«
»Da habt ihr recht. Doch bitt’ ich Euch, beginnt bald mit dem Bild, denn
wie eine Sünde brennt dies ungelöste Gelübde auf mir. Durch zwanzig Jahre
vergaß ich an das zweite Bild: erst jüngst, als ich meines Weibes gramvolles
Angesicht sah, wie sie am Krankenbette meines Kindes weinte, fühlte ich
diese Schuld und erneute mein Gelübde. Und Ihr wißt, auch diesmal hat die
Muttergottes ein Wunder der Genesung dort gewirkt, wo alle Ärzte sich mit
Verzweiflung abgewandt hatten. Ich bitte Euch, zögert nicht lange mit dem
Werk.«
»Ich tue, was ich kann, doch frei herausgesagt, fast nie in meiner langen
Schaffenszeit ist mir ein Werk so schwer erschienen, denn wenn es nicht als
eines Stümpers leichtfertiges Gefüge neben dieses jungen Meisters Bild
erscheinen soll – von dessen Wirken ich mehr zu wissen begehre – muß
Gottes Hand mit meinem Werke sein.«
»Der fehlt seinen Treuen nie. Lebt wohl! Und schreitet wohlgemut zum
Werk. Ich hoffe, Ihr bringt mir bald frohe Kunde ins Haus.«
Der Kaufherr schüttelte ihm vor seiner Pforte noch einmal innig die Hand
und sah vertrauensvoll in die klaren Augen des Malers, die wie ein
helleuchtender Gebirgssee, den verwitterte Zacken und Schroffen umgrenzen,
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik