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Und erst wenn er die Kirche verließ und begann, seiner selbst und eigenen
Bemühens zu gedenken, fühlte er den alten Schmerz mit doppelter Gewalt.
Eines Nachmittags war er wieder durch die hellerleuchteten Straßen geirrt,
und diesmal fühlte er seine quälerischen Zweifel milder werden. Von Süden
her war der erste Frühlingswind gekommen und trug, wenn auch nicht die
Wärme, so doch die Helle vieler heranblühender Lenztage in sich. Zum ersten
Male schien dem Maler jener graue stumpfe Glanz, den sein eigener Gram
über die Welt gelegt, sich zu lösen und Gottes Gnade in sein Herz zu
rauschen, wie immer, wenn das große Auferstehungswunder in flüchtigen
Zeichen sich verkündete. Eine klare Märzsonne wusch alle Dächer und
Straßen blank, die Wimpel wehten bunt im Hafen, der zwischen den sanft sich
wiegenden Schiffen hervorblaute und im steten Lärmen der Stadt brauste es
wie jubelndes Singen. Ein Pikett spanischer Reiter trabte über den Platz; man
sah sie heute nicht mit feindlichen Blicken, wie sonst, sondern freute sich des
sonnigen Widerspiels ihrer Rüstungen und der blinkenden Helme. Die weißen
Hauben der Frauen, die der Wind mutwillig zurückschlug, wiesen frische und
farbige Gesichter; über das Pflaster aber trappte flink der
holzschuhklappernde Tanz der Kinder, die sich bei den Händen faßten und
singend in Ringelreihn sich drehten.
Auch in den sonst so dunklen Hafengassen, denen sich nun der immer
froher werdende Wandler zuwandte, flackerte ein leichter Schimmer, wie ein
sinkender Regen des Lichts. Die Sonne konnte nicht ganz ihr leuchtendes
Angesicht zwischen diese vorgeneigten Giebeldächer blicken lassen, denn die
neigten sich dicht zusammen, schwarz und verknittert, wie uralte Hauben
zweier Mütterchen, die in stetem geschwätzigem Gespräche stehen. Aber von
Fenster zu Fenster gab sich das spiegelnde Leuchten weiter, wie wenn
funkelnde Hände flirrend hinabgriffen und es hin- und herschnellten in
übermütigem Spiel. Und manchen Fleck gab es, da das Leuchten still und
mild blieb, wie ein träumendes Auge in der ersten Dämmerung des Abends.
Denn unten, auf der Straße, lag das Dunkel, unbeweglich und seit Jahren, nur
selten im Winter unter schneeigem Mantel geborgen. Und die da wohnten,
trugen in ihren Augen die Unlust und Traurigkeit steter Dämmerung; nur die
Kinder, denen die Seele brannte vor Sehnsucht nach Licht und Helle, ließen
sich von diesem ersten Strahl des Frühlings vertrauensvoll verführen und
spielten in leichter Gewandung auf dem schmutzigen, holprigen Pflaster, in
ihrer Unbewußtheit tief beglückt durch den schmalen, blauen Streif, der
zwischen den Dächern lugte und durch den goldenen Tanz der Sonnenkringel.
Der Maler ging und ging, ohne ein Müdewerden zu fühlen. Es war ihm, als
sei auch ihm ein geheimer Jubel beschieden und als sei jedes Sonnenfunkens
flüchtiger Schein Gottes leuchtender Gnadenstrahl, der zu seinem Herzen
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik