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das Kind da zu bekehren, schien ich mir immer zu töricht. Ich hab’s nie recht
versucht, weil mir so schien, als sei’s bei diesem trotzigen Ding verlorne
Liebesmüh. Einmal hat man mir schon die Priester auf den Hals gehetzt und
mir die Hölle heiß gemacht; ich habe sie vertröstet, bis das Ding vernünftig
werde. Doch damit hat’s wohl noch lange Zeit, obwohl sie heute schon ihre
fünfzehn Jahre hinter sich hat, denn sie ist ganz versponnen und trotzig. Wer
kennt sich aus mit diesem Judenvolk, es sind so seltsame Menschen; der Alte
schien mir gut, und die ist auch kein übles Ding, so schwer man auch an sie
herankommt. Und was dann Eure Sache anlangt, die mir nicht übel gefällt,
weil ich meine, daß ein ehrlicher Christ nie genug für sein Seelenheil tun
kann und jedes Bemühn dereinst gewogen wird … . ich sage Euch offen, ich
habe keine rechte Gewalt über das Kind, denn wenn sie einen mit ihren
großen schwarzen Augen anschaut, hat man nicht rechten Mut, ihr was
zuleide zu tun. Doch Ihr werdet ja sehn. Ich will sie rufen.«
Er stand breitspurig auf, schenkte sich noch ein Glas voll, das er stehend
hinuntergoß und stapfte dann durch die Schenke, in die eben wieder einige
Matrosen eingetreten waren, die einen undurchdringlichen Qualm aus ihren
kurzen weißen Tonpfeifen emporstießen. Vertraulich schüttelte er ihnen die
Hände, füllte ihre Gläser und scherzte derb mit ihnen. Dann erinnerte er sich
seiner Absicht, und der Maler hörte ihn langsam und mit schweren wuchtigen
Schritten die Treppe emporstampfen.
Ihm war sehr seltsam zumute. Das selige Vertrauen, mit dem ihn diese
glückliche Bewegung beschenkt hatte, begann sich zu trüben in dem
schwellenden Lichte dieser Schenke. Straßenstaub und dunkler Qualm legte
sich über das schimmernde Bild seiner Erinnerung. Und immer und immer
wieder die dunkle Angst vor der Sünde, diese feiste und viehische
Menschheit, die sich überall mit den Gestalten der irdischen Trägerinnen so
erlauchter Gedanken vermengte, emporzutragen zu dem Thron seiner
frommen Träume. Ihm schauderte, aus welchen Händen er die Gabe
empfangen sollte, zu der ihm geheime und offenbare Wunderzeichen den Weg
gewiesen.
Der Wirt trat wieder ein in die Stube, und in seinem schweren breiten
schwarzen Schatten zeichnete sich die Gestalt des Mädchens ab, das
unschlüssig und wie erschreckt von dem gröhlendem Qualm an der Schwelle
stehen geblieben war und sich mit den schmalen Händen wie hilfesuchend an
den Türpfosten festhielt. Ein derbes Wort des Wirtes, das sie eintreten hieß,
scheuchte ihren flüchtigen Schatten eher noch mehr in das Dunkel des
Treppenganges zurück, doch schon war der Maler aufgestanden und auf sie
zugetreten. Mit seinen beiden alten, derben, aber doch so milden Händen
faßte er die ihren und fragte sie leise und vertraulich, indem er ihr voll in die
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik