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Die Liebe der Erika Ewald
Seite - 79 -
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Tage waren verflossen, und noch immer stand die Leinwand unberührt auf des Malers Staffelei. Nun war es aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände fesselte, sondern ein sicheres inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen rechnet und zählt, das nicht hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und verhaltener Kraft. Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald hingebender, sanfter und schlichter werdend in dem wärmenden Lichte der väterlichen Güte, das der Seele dieses schlichten und fürchtigen Menschen zu entstrahlen schien. Sie hatten diese Tage nur zusammen verplaudert, wie Freunde, die einander nach langen Jahren begegnen und sich gleichsam wieder erkennen wollen, ehe sie die alten herzlichen Worte wieder mit innigem Empfinden durchtränken und den Wert der alten Stunden erneuern. Und bald verband ein geheimes Bedürfnis diese zwei Menschen, die sich so ferne waren und doch so ähnlich in einer gewissen Einfachheit und Einfalt ihrer Empfindung: der eine ein Mensch, den das Leben gelehrt, daß es in seinem tiefsten Grunde nur Klarheit und Stille ist, ein Erfahrener, den lange Tage und Jahre schlicht gemacht. Und die andre eine, die das Leben noch nicht empfand, weil sie wie in einer Dunkelheit versponnen sich verträumt hatte und den ersten Strahl, der aus der lichten Welt zu ihr kam, im Innersten auffing und in einfarbigem stillen Leuchten zurückspiegelte. Und beide waren sie allein zwischen den Menschen; so wurden sie sich ganz nahe. Der Geschlechter Unterschied sprach nicht zwischen beiden; bei dem einen war der Gedanke erloschen und warf nur noch den Abendschein klärender Erinnerung herüber in sein Leben, und dem Mädchen war das dunkle Empfinden ihrer Weiblichkeit noch nicht bewußt geworden und wirkte nur als milde, sehr unsichere und unruhige Sehnsucht, die sich noch kein Ziel weiß. Eine leise und schon erzitternde Wand stand noch zwischen ihnen: die der Fremdheit des Volkes und der Religionen, die Zucht des Blutes, sich immer fremd sehen zu müssen und feindlich, ein Mißtrauen zu hegen, das erst ein Augenblick großer Liebe überwindet. Ohne diesen unbewußten Halt hätte sich längst das Mädchen, in der Liebe, versparte und edelste Liebe nach vorwärts drängte, weinend an die Brust des alten Mannes geworfen und ihm ihre heimlichen Schauer und werdende Sehnsucht, den Schmerz und Jubel ihrer einsamen Tage gestanden; so aber verriet sie das Geheimste ihrer Seele nur in Blicken und Verschweigungen, in unruhigen Gebärden und Andeutungen, denn immer, wenn sie fühlte, wie alles in ihr zum Lichte strömen wollte und sich in den klaren und überströmenden Worten innigster Empfindung verraten, da faßte sie wie eine dunkle unsichtbare Hand die geheime Kraft und preßte die Worte zusammen. Und auch der alte Mann vergaß nicht, daß er in seinem Leben an den Juden, wenn nicht auch gehässig, so doch mit dem Gefühl der Fremdheit vorbeigegangen sei. Ein Zögern hielt ihn zurück, mit dem Bilde zu beginnen, weil er hoffte, daß ihm dieses 79
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Die Liebe der Erika Ewald
Titel
Die Liebe der Erika Ewald
Autor
Stefan Zweig
Datum
1904
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
114
Schlagwörter
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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