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Tage waren verflossen, und noch immer stand die Leinwand unberührt auf
des Malers Staffelei. Nun war es aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände
fesselte, sondern ein sicheres inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen
rechnet und zählt, das nicht hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und
verhaltener Kraft. Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald
hingebender, sanfter und schlichter werdend in dem wärmenden Lichte der
väterlichen Güte, das der Seele dieses schlichten und fürchtigen Menschen zu
entstrahlen schien. Sie hatten diese Tage nur zusammen verplaudert, wie
Freunde, die einander nach langen Jahren begegnen und sich gleichsam
wieder erkennen wollen, ehe sie die alten herzlichen Worte wieder mit
innigem Empfinden durchtränken und den Wert der alten Stunden erneuern.
Und bald verband ein geheimes Bedürfnis diese zwei Menschen, die sich so
ferne waren und doch so ähnlich in einer gewissen Einfachheit und Einfalt
ihrer Empfindung: der eine ein Mensch, den das Leben gelehrt, daß es in
seinem tiefsten Grunde nur Klarheit und Stille ist, ein Erfahrener, den lange
Tage und Jahre schlicht gemacht. Und die andre eine, die das Leben noch
nicht empfand, weil sie wie in einer Dunkelheit versponnen sich verträumt
hatte und den ersten Strahl, der aus der lichten Welt zu ihr kam, im Innersten
auffing und in einfarbigem stillen Leuchten zurückspiegelte. Und beide waren
sie allein zwischen den Menschen; so wurden sie sich ganz nahe. Der
Geschlechter Unterschied sprach nicht zwischen beiden; bei dem einen war
der Gedanke erloschen und warf nur noch den Abendschein klärender
Erinnerung herüber in sein Leben, und dem Mädchen war das dunkle
Empfinden ihrer Weiblichkeit noch nicht bewußt geworden und wirkte nur als
milde, sehr unsichere und unruhige Sehnsucht, die sich noch kein Ziel weiß.
Eine leise und schon erzitternde Wand stand noch zwischen ihnen: die der
Fremdheit des Volkes und der Religionen, die Zucht des Blutes, sich immer
fremd sehen zu müssen und feindlich, ein Mißtrauen zu hegen, das erst ein
Augenblick großer Liebe überwindet. Ohne diesen unbewußten Halt hätte
sich längst das Mädchen, in der Liebe, versparte und edelste Liebe nach
vorwärts drängte, weinend an die Brust des alten Mannes geworfen und ihm
ihre heimlichen Schauer und werdende Sehnsucht, den Schmerz und Jubel
ihrer einsamen Tage gestanden; so aber verriet sie das Geheimste ihrer Seele
nur in Blicken und Verschweigungen, in unruhigen Gebärden und
Andeutungen, denn immer, wenn sie fühlte, wie alles in ihr zum Lichte
strömen wollte und sich in den klaren und überströmenden Worten innigster
Empfindung verraten, da faßte sie wie eine dunkle unsichtbare Hand die
geheime Kraft und preßte die Worte zusammen. Und auch der alte Mann
vergaß nicht, daß er in seinem Leben an den Juden, wenn nicht auch gehässig,
so doch mit dem Gefühl der Fremdheit vorbeigegangen sei. Ein Zögern hielt
ihn zurück, mit dem Bilde zu beginnen, weil er hoffte, daß ihm dieses
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik