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Land, das sie nicht kannte und dessen Anblick sie süß, wie eine unbewußte
Heimatserinnerung berührte, tat sich auf mit grünen Palmen und hohen
Zypressen, mit einem leuchtenden blauen Himmel, der über Wüsten und
Berge, Städte und Fernen in gleichem tiefen Glanze lag und viel leichter und
freudiger zu sein schien, als dieser nördliche, der selbst wie eine einzige graue
ewige Wolke war.
Nach und nach fügte er ihr kleine Erzählungen bei. Er erklärte ihr die
Bilder mit den einfachen und so dichterischen Legenden des Testamentes und
sprach von den Wundern und Zeichen der heiligen Tage mit solcher Glut, daß
er die eigene Absicht vergaß und das gläubige Vertrauen, welches ihm die
erträumte Gnade der letzten Tage verliehen, in ekstatischen Farben
verkündete. Und dieses alten Mannes begeisterter Glaube erschütterte tief das
Herz dieses Mädchens, die selbst sich nun fühlte wie in einem erschlossenen
Wunderlande, das sich jählings aus dem Dunkeln mit umfangenden Pforten
geöffnet. Stärker und stärker begann ihr Leben zu wanken, das aus tiefster
Nacht plötzlich in purpurner Dämmerung erwachte. Nichts schien ihr
unglaublich, seitdem sie selbst so seltsames erlebt, nicht jene Legende von
dem silbernen Sterne, hinter dem drei Könige aus fernem Lande gingen, mit
Pferden und Kamelen, auf denen eine schimmernde Flut von Kostbarkeiten
ruhte, – nicht daß ein Toter von einer segnenden Hand berührt, wieder zum
Leben erstand, denn an sich selbst schien sie ähnliche Wundergewalt zu
verspüren. Bald blieben die Bilder unbeachtet beiseite. Der alte Mann erzählte
aus seinem Leben, manches Gotteszeichen mit den Legenden der Bücher
vermählend; vieles, das er in den stummen Tagen seines Alters in sich
versponnen und verträumt, hoben jetzt seine Worte ins Licht, ihn selbst
erstaunend, wie etwas Fremdartiges, das man prüfend von eines andern Hand
übernimmt; gleich einem Prediger war er, der in der Kirche mit einem
Gotteswort begonnen, um es zu erläutern und zu durchleuchten; mit einem
Male aber vergißt er Hörer und Ziel und gibt sich nur der dunklen Wollust
hin, alle die rauschenden Quellen seines Herzens in ein tiefes Wort strömen
zu lassen, wie in einen Kelch, in dem alle Süße und Heiligkeit des Lebens ist.
Und über das niedere Volk seiner betroffenen Hörer, die nicht mehr reichen
bis zu seiner Welt und murren und sich bestarren, fliegt sein Wort höher und
höher und ist selbst allen Himmeln nahe in seinem verwegenen Traum der
vergessenen Erdenschwere, die sich plötzlich wieder bleiern an seine
Schwingen hängt… .
Der Maler schaute plötzlich um sich, wie noch umrauscht von dem
purpurnen Nebel seiner ekstatischen Worte; die Wirklichkeit wies ihm wieder
ihr geordnetes kaltes Gefüge. Aber was er sah, war schön wie ein Traum.
Zu seinen Füßen saß Esther und schaute zu ihm auf. Sanft an seinen Arm
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik