Seite - 82 - in Die Liebe der Erika Ewald
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gelehnt und in diese stillen, blauen, geklärten Augen blickend, in denen sich
plötzlich so viel Licht gesammelt, war sie nach und nach an ihm
herabgeglitten, ohne daß er es in seiner gottnahen Aufwallung bemerkte, und
kauerte an seinen Knieen, den Blick zu ihm erhoben. Alte Worte aus eigener
Kinderzeit rauschten wirr in ihrem Kopfe, Worte, die der Vater an manchen
Tagen im langen schwarzen Feiergewand, umhangen von weißen zerfaserten
Binden, aus einem alten und ehrwürdigen Buche vorgelesen hatte, und die
auch so voll dröhnender Feierlichkeit waren und voll inbrünstiger Andacht.
Eine Welt, die sie verloren und von der sie wenig mehr wußte, ward in
dämmernden Farben wieder wach und erfüllte sie mit weher Sehnsucht, die
Tränenglanz in ihren Augen erschimmern ließ. Und als der alte Mann sich zu
diesen schmerzlichen Blicken niederbeugte und ihre Stirne küßte, fühlte er,
wie ein Schluchzen ihre zarten kindlichen Glieder in wildem Fieber
schüttelte. Und er mißverstand sie. Denn er meinte, daß das Wunder sich
vollendet habe und Gott in einem großen Augenblicke seiner sonst schlichten
und wortkargen Sprache die glühenden Feuerzungen der Beredsamkeit
geschenkt habe, wie einst den Propheten, da sie zu dem Volke gingen. Und er
meinte, dieses Schauern sei die bange und noch fürchtige Seligkeit einer, die
den Heimweg zu dem wahren und aller Seligkeiten Fülle tragenden Glauben
gefunden habe und die zittert und schwankt, wie einer Fackel jäh entflammte
Flamme, die noch unsicher hoch in die Luft tastet und wieder in sich
zusammensinkt, ehe sie sich klärt zu stillem geruhigem Leuchten. Dieser
Irrtum umfing mit jubelnder Freude sein Herz, das sich mit einem Male
seinen fernsten Zielen nahe wähnte. Eine Weihe überkam seine Worte.
»Ich habe dir von Wundern erzählt, Esther! Viele sagen, daß sie vor Zeiten
waren, ich aber fühle und sage, daß sie noch heute sind, nur daß sie stiller
geworden sind und nur in den Seelen derer erstehen, die sie erwarten. Was
zwischen uns war, ist ein Wunder, meine Worte und deine Tränen, sie sind
eines in einer unsichtbaren Hand, die sie aus unserem blinden Innern
gestoßen, ein Wunder der Erleuchtung. Da du mich verstanden, gehörst du
schon zu uns; in diesem Augenblicke, da dir Gott diese Tränen geschenkt, bist
du schon Christin… .«
Er hielt erstaunt inne. Denn bei diesem Wort war Esther von seinen Füßen
mit abwehrenden Händen emporgefahren, wie um diesen Gedanken
zurückzustoßen. Erschrecken flackerte in ihren Augen und der unbändige
zornige Trotz, von dem man dem Maler gesprochen. Sie war schön in diesem
Augenblick, da die Herbe ihrer Züge Trotz und Zorn wurde, die Linien um
ihren Mund wie Messerschnitte so scharf, und in ihren zitternden Gliedern
eine katzenhaft zur Verteidigung bereite Gebärde. Die ganze Glut, die in ihr
schäumte, brach in einer Sekunde wildester Verteidigung empor… .
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik