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Die Liebe der Erika Ewald
Seite - 85 -
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vor wenigen Minuten verführt, gähnte ihr nun wieder dumpf und dunkel entgegen. Und der alte Mann hatte längst Absicht und Ziel vergessen über der hingegebenen Betrachtung dieses Schmerzes. Stumm stand er vor ihr, und ihm war so weh, als müßte er sich zu ihr setzen, um mit ihr zu weinen, was er nicht in Worten sagen konnte: daß seine große Menschenliebe diesen Schmerz in ihr, den er unbewußt erweckt, fühlte als eine Schuld. Erschauernd spürte er die Fülle von Segen und lastender Schwere, die in einer Stunde sich die Hände reichten, und die schweren Wogen, die sich auf und nieder senkten, und von denen er nicht wußte, ob sie sein Leben erheben wollten oder in die drohenden Tiefen ziehen. Aber er fühlte sich matt und stumpf gegen Furcht wie Hoffnung; nur Mitleid für dieses junge Leben erfüllte ihn, vor dem noch so viel Wege und Ziele sich breiteten. Vergebens suchte er nach Worten: sie waren alle so schwer wie Blei und klangen wie falsches Metall. Was wog ihre Fülle gegen den Schmerz einer einzigen Erinnerung? Traurig strich seine Hand über ihr zitterndes Haar. Sie schaute auf, verwirrt und zerfahren; mit mechanischer Gebärde ordnete sie sich ihre Haare und erhob sich mit umherirrenden Augen, als müßte sie sich wieder zurechtfinden in der Wirklichkeit. Schlaffer und müder wurden ihre Züge und nur in den Augen flackerte noch der dunkle Schein. Brüsk raffte sie sich zusammen und stieß die Worte rasch hervor, um zu verbergen, daß noch das Schluchzen in ihnen vibrierte. »Ich muß jetzt gehn. Es ist spät. Und mein Vater erwartet mich.« Mit harter Gebärde schüttelte sie grüßend den Kopf, raffte ihre Sachen zusammen und wandte sich zum Gehen. Aber der alte Mann, der sie mit seinen sicheren verstehenden Blicken beobachtet hatte, rief sie noch einmal zurück. Mühsam wandte sie sich um, denn in den Augen leuchtete ein feuchter Schimmer von Tränen. Und wieder faßte der alte Mann mit seiner bezwingenden innigen Gebärde ihre beiden Hände und sah sie an. »Esther, ich weiß, du willst jetzt gehen und nicht mehr wiederkommen. Du glaubst mir und glaubst mir nicht, denn eine geheime Angst betrügt dich.« Er fühlte, wie ihre Hände sich sanfter und vertrauender in den seinen lösten. Und er fuhr zuversichtlicher fort. »Komm aber wieder, Esther! Wir wollen alle Dinge ruhen lassen, die hellen und die traurigen. Morgen werden wir mit dem Bilde beginnen und mir ist, als wollte es gelingen. Und sei nicht traurig mehr, laß das Vergangene schlafen und rüttle nicht daran. Morgen wollen wir mit neuer Arbeit beginnen und mit neuer Hoffnung. Nicht wahr, Esther?« Sie nickte unter Tränen. Und sie trug die Ungewißheit und Bangigkeit vor ihrem Leben wieder nach Hause zurück, wie vordem, nur mit dem Bewußtsein tieferer Fülle und vielfacheren Inhalts, als sie bisher gemeint. 85
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Die Liebe der Erika Ewald
Titel
Die Liebe der Erika Ewald
Autor
Stefan Zweig
Datum
1904
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
114
Schlagwörter
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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