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Das Bild wurde begonnen. Esther saß nachdenklich zurückgelehnt in einem
weichen, wohligen Lehnstuhle und hörte bald den erzählenden Worten des
alten Malers zu, der ihr mit allerhand Geschichten aus seinem und anderer
Leben die eintönigen Stunden gleichmäßigen Sitzens zu vertreiben suchte,
bald träumte sie gelassen in die tiefe Stube hinein, deren Wände mit Gobelins,
Bildern und Zeichnungen geschmückt immer wieder ihren Blick anzogen. Die
Arbeit ging nicht rasch vonstatten. Der Maler fühlte, daß alle diese Studien,
die er machte, nur Versuche seien und noch nicht die endgültige
überzeugende Stimmung. Es fehlte ihm noch etwas in dem Gedanken seiner
Skizzen, das er in Worten und Begriffen sich nicht klären konnte, tiefinnerlich
jedoch mit solcher Deutlichkeit empfand, daß ihn oft eine fieberhafte Eile von
Blatt zu Blatt trieb, die er dann genau miteinander verglich, immer aber
unzufrieden, so getreulich seine Schöpfungen auch sein mochten. Zu Esther
sprach er nicht davon. Aber es war ihm, als läge in ihrem harten Zuge, der
sich selbst in den Augenblicken sanfter Träumerei nie ganz von ihren Lippen
ablöste, ein Widerspruch gegen die milde Erwartung, die seine
Madonna verklären sollte, als sei noch zuviel kindhafter Trotz in ihr, der noch
nicht reif sei, die süße Schwere des Muttergedankens zu tragen. Er fühlte, daß
Worte ihr nicht recht die Düsterkeit würden abringen können, daß sich nur
von innen diese Härte würde mildern können. Aber diese weiche, frauliche
Regung blieb ihrem Antlitz fern, wenn auch die ersten Frühlingstage ihr rotes
Sonnengold durch alle Fensterritzen ins Zimmer warfen und die schöpferische
Regung einer ganzen Welt verkündeten, wenn alle Farben auch weicher und
tiefer zu werden schienen so wie die Luft, die warm durch die Gassen wallte.
Schließlich ermattete der Maler. Der alte Mann war erfahren und kannte die
Grenzen seiner Kunst, deren Überschreitung er nicht erzwingen konnte. Er
gab den Plan auf, so wie er ihn gefaßt hatte, rasch und der lauten Stimme
einer plötzlichen Intuition gehorchend. Und nachdem er die Möglichkeiten
gegeneinander abgewogen hatte, entschloß er sich, in Esther nicht den
Gedanken der Verkündigung zu malen, da ihr Antlitz nicht die Schauer der
ersten Zeichen der gläubig erwachenden Weiblichkeit trug, sondern sie als
Madonna mit dem Kinde zu schaffen, dem schlichtesten und tiefsten Symbole
seiner Gläubigkeit. Und er wollte sogleich damit beginnen, denn die
Verzagtheit begann sich wieder in seiner Seele einzufinden, da der Glanz der
erträumten Wunder mählich und mählich mehr verblaßt war, ja schon fast in
die schwere, lastende Dunkelheit gesunken. Und ohne Esther zu verständigen,
löste er die Leinwand, die einige flüchtige Spuren voreiliger Versuche trug ab
und setzte eine neue an ihre Stelle, wie er sich überhaupt mühte, dieser neuen
Vorstellung in sich freien Weg zu bahnen.
Als Esther am nächsten Tage sich in gewohnter Weise niedergelassen hatte
und sanft zurückgelehnt auf den Beginn der Arbeit wartete, die ihr gar nicht
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik