Seite - 93 - in Die Liebe der Erika Ewald
Bild der Seite - 93 -
Text der Seite - 93 -
Und das Lächeln war keine Lüge, das ihr aus diesen blauen großen Augen
entgegenblinzelte. Das war alles Leben, und sie verzehrte sich in einer
inneren Gier nach Verschwendung an die Welt, die ein reiches und
unbewußtes Erbteil ihres Stammes war und nach Hingebung, der fraulichen
Sehnsucht, ehe sie noch Weib war. In diesem Spiel barg sich schon der Keim
tieferen Verlangens und tieferer Lust. Aber noch war alles ein tändelnder
Reigen zärtlicher Einfälle und inniger Bewunderung, spielender Anmut und
törichten Traums. Wie Kinder die Puppen schaukeln, so wiegte sie dieses
Kind, aber sie träumte dabei, wie Frauen und Mütter träumen, – in eine süße
zärtliche grenzenlose Ferne.
Der alte Mann fühlte die Wandlung mit der ganzen Fülle seines wissenden
Herzens. Er spürte, daß er ihr ferner wurde, nicht fremder, und daß er nicht
mehr in ihrem Wunsche stand, sondern schon abseits, wie eine milde
Erinnerung. Und er freute sich dieses Umschwungs, so sehr er auch Esther
liebte, denn er sah junge starke und gütige Triebe in ihr, von denen er hoffte,
daß sie schneller die Trotzigkeit und Verschlossenheit ihrer ererbten Art
zerbrechen würden als sein Bemühen. Und er wußte, daß ihre Liebe an ihn,
den Alten, Absterbenden Verschwendung war, während sie in junges Leben
Segnung und Verheißung tragen konnte.
Wunderbare Stunden verdankte er dieser erwachten Zärtlichkeit Esthers zu
dem Kinde. Viele Bilder von bezwingender Schönheit formten sich vor ihm,
alle Paraphrasen eines einzigen Gedankens und doch alle verschieden. Bald
war es ein zärtliches Spiel: Esther mit dem Kinde tändelnd, selbst ganz Kind
in ihrer unbändigen Mitfreude, geschmeidige Bewegungen ohne Härte und
Leidenschaft, milde Farben in sanfter Vereinung, zärtliches Zusammenfließen
zarter Formen. Und dann wieder Augenblicke der Stille, wenn das Kind träge
auf dem weichen Schoße eingeschlafen war und die schmalen Hände Esthers
über ihm wachten wie zwei Engel, wenn in ihren Augen jene zärtliche Freude
seligen Besitzes aufglänzte und die verschwiegene Leidenschaft, das
schlafende Antlitz mit Zärtlichkeiten zu erwecken. Dann wieder Sekunden, da
sich die vier Augen ineinander einsenkten, unwissend, unbewußt und suchend
die einen, innig hingebend und selig leuchtend die andern. Dann waren
wieder Momente entzückender Verwirrungen, wenn das Kind mit seinen
unbehilflichen Händen an der Brust des Mädchens emportastete, von der es
die mütterliche Spende erwartete; dann rötete wieder die Scham Esthers
Wangen wie rosiges Licht, aber es war keine Angst mehr, die sie erfüllte, und
kein Unwille, sondern nur eine verlegene Aufwallung, die in ein beglücktes
Lächeln zerrann.
Und diese Tage wurden die Schöpferstunden des Bildes. Aus tausend
Zärtlichkeiten schuf er eine, aus tausend tändelnden, beseligten, ängstlichen,
93
zurück zum
Buch Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik