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Die Liebe der Erika Ewald
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denn der Zauber der Wirklichkeit war langsam gewichen und das Doppelantlitz des Bildes schien ihm das vergeistigte Wesen jenes wundervollen Schöpfertraumes, der ihm immer weniger Vollführung irdischer Kraft schien, je weiter zeitlich die Erinnerung jenes Augenblickes zu verdämmern begann. Jeder Versuch der Verbesserung schien ihm nicht nur Torheit, sondern Sünde. Und im Innersten beschloß er, nach diesem Werke, da seine Hand offenbarlich geleitet war, nicht weiteres Stümperwerk zu schaffen, sondern seine Tage in tieferer Frömmigkeit und in Erspähung der Pfade zu verbringen, die sein Leben emporführen könnten in jene Höhen, deren goldenes Abendleuchten er in diesen späten Lebensstunden noch verspürt hatte. Esther spürte mit dem feinen Instinkte, den die Verwaisten und Zurückgestoßenen in ihren Seelen wie ein geheimes Netzwerk empfindsamer Fäden haben, das alle Worte und auch die verschwiegenen umspannt, die leichte Entfernung des alten und ihr so lieben Mannes, und sie litt beinahe unter seiner gleichen milden Zärtlichkeit; sie fühlte, daß sie gerade jetzt seines ganzen Wesens und der befreiten Fülle seiner Liebe bedurft hätte, um ihre Seele mit ihren wachsenden Schmerzlichkeiten offenbaren zu können und Antwort zu verlangen von den Rätseln, die sie umringten. Sie horchte auf den Augenblick, da sie die Worte aus sich befreien konnte, die in ihr drängten und überschäumten, aber das Erwarten ward endlos und machte sie müde. Und da wandte sie ihre ganze Zärtlichkeit dem Kinde zu. Ihr ganzes Empfinden formte sie in diesen kleinen unbeholfenen Körper, den sie mit heißer Gewalt umfing und küßte, so ungestüm und vergessend, daß das Kind oft nur den Schmerz der Umarmung spürte und zu klagen begann. Dann wurde sie zurückhaltend, behütend, beruhigend, aber auch diese Ängstlichkeit war Ekstase, sowie ihr Empfinden kein mütterliches war, sondern ein ängstlich-suchendes Emporwallen erotischer und dumpf sehnsüchtiger Triebe. Eine Kraft in ihr drängte empor, und ihre Unwissenheit ließ sie an diesem Kinde verschäumen. Es war ein Traum, den sie lebte, und eine schmerzliche Betäubung; sie hielt sich nur krampfhaft an dieses Wesen, weil es ein warmes Herz hatte, das pochte, so wie das ihre, weil sie alle Zärtlichkeiten, die in ihr glühten, an diese stummen Lippen verschenken konnte, weil ihre Arme, in denen eine unbewußte Sehnsucht war, ein Lebendes umklammern konnten, ohne den Augenblick der Beschämung fürchten zu müssen, der sie überfiel, wenn sie sich nur mit einem einzigen Worte einem Fremden anvertraut hätte. Stunden und Stunden verbrachte sie so, ohne zu ermüden und ohne zu fühlen, wie sie sich selbst betrog. Dieses Kind umschloß nun für sie den Begriff des Lebens, nach dem sie sich so wild gesehnt. Rings um sie verwölkten sich die Zeiten, sie merkte es nicht. Abends standen die Bürger zusammen und sprachen von der alten 97
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Die Liebe der Erika Ewald
Titel
Die Liebe der Erika Ewald
Autor
Stefan Zweig
Datum
1904
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
114
Schlagwörter
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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