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Tagebuch 1937/1
Komposit[ion] von Tassart 1770 u. nur Belgien. Wir haben Bergues „erledigt“ („fins-
ter, finster“, sagt d. Stoffel) wir lassen uns nicht mehr verleiten, nochmals hinzufah-
ren (ein originelles Jud[ith] + Holofernesbild vor der Exekution von dem Berguesner
Lokalmaler Elias (E[nde] 17.). Wir erwarben d. Katalog.) Der Konservateur hat sich
uns den ganzen Vormittag lang gewidmet, obwohl er gerade Männer zum Umhän-
gen da hatte. Ein eleganter alter Herr der selbst aussah als käme er noch aus Bergues
großer Zeit herüber.
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Wir lunchten in d. Bahn einen Port Salut u. Bananen. Im Museum in Lille war
das versprochene Photographieren fast schon ins Wasser gefallen. Nicht wegen d. ab-
scheulichen Lichtes, nein d. Museumsdirektor, der um 3h da sein sollte, kam nicht
und als wir ihn schließlich holen ließen, bedauerte er, er sei verhindert u. wir sollten
es mit Hilfe d. Diener durchführen. So war kostbare Zeit verstrichen, d. einzig be-
queme Zug abgegangen u. wir gezwungen stundenlang die Dons de l’Etat und an-
dere Plastik d. XIX. u. XX. Jhs. anzuschauen, richtiger Hausgreuel in Riesendimensi-
onen, so dann den Regen in einem Cinémac abzuwarten u. schließlich mit einem Zug
zu fahren, der uns wieder zum Papierl-essen verurteilte. An der belgischen
– dritten !
–
Grenze waren wir beide plötzlich ganz einsam in einem Waggon weit draußen im
offenen Gelände. Wir unterhielten uns, ob Hans’ Hut noch bis London aushalten
würde oder er sich schon einen neuen in Brüssel erwerben solle, als von irgendwo aus
d. Ferne die Aufforderung an uns erging mit allem Gepäck zur Douane auszusteigen.
Ach, die Nässe ! Hans schupfte d. Koffer heraus, die der Mann mit d. Postsäcken auf
seinen Wagen nahm. Und als wir dort anlangten, da war der oben genannte Hut im
Koupé zurückgeblieben
…
Jetzt sitzen wir im Zug nach Brüssel. Die Nächte in Lille in denen wir die Zanza-
ren summen hörten, liegen hinter uns. Zugegebene Zanzaren, was an sich schon eine
Seltenheit ist ; sogar in Venedig werden sie nur nach dem 28. Juli zugegeben. In Lille
bot mir das Hôtelmädchen sogleich Netze vor d. Fenster an, falls ich die Absicht
hatte, es bei Nacht offen zu lassen.
8. Mai
Ganz im Zeichen von Anderls Brief, den wir gleich früh auf der Post holten. Burgl in
polizeil[icher] Untersuchung ! Ich will nichts weiter darüber schreiben
…41
Wir waren bis gegen 2 Uhr oben im Museum, das ausgezeichnet aufgestellt ist ;
alle zweitrangigen Meister oder zweitrangige Bilder erstrangiger Meister sind in
einer Galérie documentiert untergebracht, die aber – ebenerdig – jedem, der sich
interessiert, offen steht. Was aber oben ist, hängt bequem in bestem Licht ; kleinere
Räume für die Primitiven u. Niederländer, große für d. Vlamen. Interessante Ge-
genüberstellungen von Italienern u. anderen (ein prachtvoller Crespi, der ganz an
d. späten Tizian anknüpfte, ein ikonogr[aphisch] interessanter Orley, der den Palma
Gio[vane], bez[iehungsweise] d. Invidia-Relief, vorwegnimmt „Der Reiche im Fege-
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien