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Tagebuch 1937/2
verändert hat, d. Vater †, die Firma aufgelöst, d. Geld futsch u. Hitler d. Karriere
unterbrochen und er jetzt hier den struggle of life hat, bei dem er zu kurz kommen
wird.
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16. [Juni]
Gestern war a rather busy day. In d. Früh eine – zwei erquickende Stunden in d.
Nat[ional] Gal[lery], endlich ganz hineingekniet in d. Venezianer. Dann laut Verab-
redung bei Harris, The Span[ish] Gall[ery], wo wir alle möglichen venez[ianischen]
Z[eich nungen] nachgeliefert bekamen. Weiter zu Read, der uns trotz Regen ausge-
rechnet zu Victor führen wollte, einem franz[ösischen] Restaurant. Man saß sehr nett
dort u. aß auch sehr gut. Am nettesten war aber Read selbst. Wie ein verträumter
Student trotz seiner weißen Haare. Ein Gefühl gab mir ein, ihn nach Aldington zu
fragen, dem Autor von The death of a Hero, das ich grade lese, ich meinte, er müsse
ihn kennen
– und mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Nachher
– etwas verspätet
–
zu Witt, wo Hans von dem Tizian-Bild, das ich unlängst hier entdeckt hatte (jetzt
ists heraus), auch sehr begeistert war. Für 4h waren wir in Green Street bestellt, wo
Harewoods provisor[isches] Domizil ist, in das uns Borenius führen wollte. Proviso-
risch
– bis eine der etwa 90jährigen Anverwandten d. K[öni]gl[ichen] Hauses sterben
würde, deren Schloß sie dann beziehen könnten. Borenius führte uns ins Boudoir von
Princess Mary, (er sagte mit belegter Stimme : „hier sind sie im Allerheiligsten“), wo
d. Veronesezeichn[ung] (das Modello f. d. Decke) hängt u. z[war] in einem Rahmen,
der d. Schnitzerei d. Deckenfeldes im Dogenpalast nachbildet. Sicher Borenius’ Idee.
Wie er auch so glücklich war, d. K[öni]gl[ichen] Hoheit ein Bild von Sargent vor-
schlagen zu dürfen, das d. Raum im Dogenpal[ast] darstellt. Dann gibt es dort eine
Sammlung
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(Ich fahre am 17. [Juni] abends fort)
–
– von Teniers Kopien nach d. Wiener Bildern, es sind schon sehr viele beisammen,
aber Borenius will nicht, daß es bekannt wird, sonst wird d. Hoheit von Händlern
überlaufen. Wir machten ihn auf ein Bild bei Suida aufmerksam, überließen ihm
aber d. Verhandlung zu führen (Wir hörten dann von – ? von Burgs glaub ich, daß
er – Borenius, nicht Suida von jedem Ankauf Prozente bekomme). Von Bildern, die
uns angingen war nur ein Tintoretto genannter Fries, der irgendein historisches Er-
eignis von Zara darstellen solle ; viele Schiffe sehr frische Malerei, aber sicher nicht
Jacobo Tintoretto. Viel zu amüsant, lieblich. Der stärkere Eindruck war wieder Bore-
nius selbst. Er ist so eitel, daß man ihn ohne Scham pflanzen* kann. Er hat uns sogar
en passant (mit zwei Anführungszeichen) erzählt, daß er für d. 12. September zum
Empfang zur Königin Mutter befohlen sei, er wies d. Brief vor, in dem die Ordre
stand. Er war unerhört stolz, uns in das hoheitliche Haus geführt zu haben u. ich
* necken
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien