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Sartre beurteilt inder französischenSituationdie verdeckendeVerwendungdes
antiken Stoffs als unabdingbar („[p]ourquoi faire déclamer des Grecs […] si ce
n’estpourdéguisersapenséesousunrégimefasciste?“146).Was fürLesMouches
gilt, trifft bis zu einem gewissen Grad auch auf die Okkupationsmetapher der
Pest inAlbert Camus’ zuKriegszeitenverfasstemRomanLaPeste zu, indemdie
Behörden der Stadt Oran wegen der abstoßenden Invasion („invasion répug-
nante“)pestübertragenderRattengezwungensind,denBelagerungszustandaus-
zurufen („à assimiler l’état de peste à l’état de siège“147). Doch auchnachEnde
der Okkupation, unterstreicht Sartre, habe der Inhalt seines Stückes weiterhin
Gültigkeit,nichtnur inFrankreich:
Auch fürdieDeutschen istdieReueunfruchtbar. Ichwillnicht sagen,daßsiedieErinne-
rungandieFehler derVergangenheit aus ihremGedächtnis streichen sollten.Nein, aber
ich binüberzeugt, daß sie nicht durch ein billigesReuebekenntnis dieVergebung erlan-
genwerden,die ihnendieWeltgewährenkann.148
Die österreichischenLeserInnenkönnendiesen 1947als „DerDichterüber sein
Werk“übersetztenAuszug aus „Après notre Défaite…“, abgedruckt in der in
Baden-Baden erscheinenden Zeitschrift Die Quelle. Zeitschrift für Theater,
Musik, Film, erst imSommerdesFolgejahres 1948unterdemTitel„DerUn-Mut
der Selbstverleugnung“ in Komödie. Zeitschrift für künstlerisches Theater fin-
den, wobei „remords“ hier nicht mit „Reue“, sondernmit dem eher auf Ver-
drängunghindeutenden„Selbstverleugnung“übersetztwird:
Auch für die Deutschen, glaube ich, ist Selbstverleugnung unfruchtbar. Ich will damit
nicht sagen, daß die Erinnerung an die Fehler der Vergangenheit aus ihremGedächtnis
verschwindensoll.Nein.Aber ichbinüberzeugt,daßnichteinewillfährigeSelbstverleug-
nungihnen jenenPardonverschafft,dendieWelt ihnengewährenkann.149
146 Jean-Paul Sartre: Pour un Théâtre de l’engagement – Je ferai une pièce cette année et
deux films; Interviewpar JacquesBaratier. In: Contat undRybalka (Hg.): LesÉcrits deSartre,
S. 90. [Zuerst in: Carrefour, 09.09.1944.] Zur Präsenz antiker Stoffe im NS- und Nachkriegs-
theatercf. IngeStephan: ImZeichendesMythos.Neupositionierungder Intellektuellen imlite-
rarischenFeldderNachkriegszeit. In:Winter (Hg.): „Uns selbstmusstenwirmisstrauen.“Die
„junge Generation“ in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Hamburg, München 2002,
S.49–66.
147 Albert Camus: La Peste. Paris 1947, S. 21, 159. Der aus Graz stammende Autor Gerhard
RothbezeichnetDiePestausdiesemGrundals seinLieblingsbuch: „Camusbeschreibt gleich-
nishaft in einer einfachen, durchstrukturierten Sprache die Seuchen unmenschlicher Ideolo-
gien in diesem Jahrhundert.“ Cf. Andrea Pascher, Alexandra Stroh und S. Zobl: Lesetips für
hundert Jahre. In:News,01.07.1999.
148 Jean-PaulSartre:DerDichterüberseinWerk. In:DieQuelle 1 (1947),Nr. 2,S. 131.
149 Jean-PaulSartre:DerUn-MutderSelbstverleugnung. In:Komödie2 (1948),Nr.6,S. 204.
48 3 GrundlagenundGründungsmythen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur