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MitderEskalationdesKaltenKriegszuBeginnder fünfziger Jahre löst ein radi-
kalerAntikommunismusdieSchuld-Thematikganz imdominierenden intellek-
tuellenDiskurs ab. DieMitverantwortungÖsterreichs spielt schließlich bei der
Außenministerkonferenz zum Staatsvertrag am 14. Mai 1955 „bis in die buch-
stäblich noch allerletztenVerhandlungen umdasVertragswerk eine Rolle“165,
wird aber, wie Brigitte Bailer festhält, in letzter Minute „wegverhandelt“: Auf
dieser Grundlage bleibt der Opferstatus über Jahrzehnte „die vorherrschende
SichtweiseaufdieNS-Zeit“166 inderPolitikundderBevölkerung.
Die französische Besatzungspresse inÖsterreich verzichtet– im Einklangmit
derBereitschaft,weiterzuleben, alswennnichts gewesenwäre („commeside rien
n’était“167), die Wajsbrot der französischen Nachkriegsmentalität attestiert – auf
Schuld-Debattenunddruckt indiesemZusammenhanghöchstensArtikel zuRand-
phänomenen,wie „DieÖsterreicher bei der französischenWiderstandsbewegung“
von Paul Denaisne in der Europäischen Rundschau (1946), um „den österreichi-
schen Lesern ein Bild des Lebens dieser mutigen Männer zu vermitteln“168. In
Frankreich selbst zeichnet sich die Österreich-Berichterstattung von LeMonde in
denJahren1945bis1950durcheineVermeidungdesWortes„Nationalsozialismus“
165 HelmutWohnout:DieMitschuldklausel undÖsterreichalsNS-Opfer. ZurAmbivalenzder
österreichischenOpfertheseambiografischenBeispielLeopoldFigls. In:KarnerundTschubar-
jan (Hg.): Die Moskauer Deklaration 1943. „Österreich wieder herstellen“. (Kriegsfolgen-For-
schung8.)Wien,Köln,Weimar2015,S. 235–248,hier235.
166 BrigitteBailer:Widerstand,OpfermythosunddieFolgen fürdieÜberlebenden. In:Karner
und Tschubarjan (Hg.): DieMoskauer Deklaration 1943, S. 162–173, hier S. 171, 172. Cf. auch
Gerald Stourzh: Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-
West-Besetzung Österreichs 1945–1955. (Studien zu Politik und Verwaltung 62.) Wien, Köln,
Graz 52005.Wiederaufgreifenwird dieMitverantwortung Bundeskanzler Franz Vranitzky am
8. Juli 1991 in seiner Parlamentsrede (35. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich,
XVIII. Gesetzgebungsperiode, Stenographisches Protokoll. https://www.parlament.gv.at/
PAKT/DE/index.shtml [einges. 12.02.2019]): „Viele habenWiderstand geleistet und dabei ihr
Leben fürÖsterreichgegeben.Aberwir dürfenauchnicht vergessen, daßesnichtwenigeÖs-
terreichergab,die imNamendiesesRegimesgroßesLeidüberanderegebrachthaben,die teil-
hattenandenVerfolgungenundVerbrechendiesesReichs.Undgeradeweilwirunsereeigene
leidvolle Erfahrung in dieses neue Europa einbringenwollen, geradeweil wir in den letzten
Tagensoeindringlichundnachdrücklichdaranerinnertwerden,wasUnabhängigkeit undEi-
genstaatlichkeit, Freiheit und Menschenrechte für kleine Völker bedeuten, gerade deshalb
müssenwir uns auch zu der anderen Seite unserer Geschichte bekennen: zurMitverantwor-
tung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über
andereMenschenundVölkergebrachthaben.“
167Wajsbrot:Littérature: le romanenfuite,S.61.
168 Paul Denaisne: Die Österreicher bei der französischenWiderstandsbewegung. In: Euro-
päischeRundschau1 (1946),Nr. 5,S. 199–201,hierS. 200.
52 3 GrundlagenundGründungsmythen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur