Seite - 66 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Bild der Seite - 66 -
Text der Seite - 66 -
und Zivilisation“23 nur wieder zum Erstrahlen bringen. Dadurch, dass die in
Deutschland praktizierte Reedukation für Österreich als sinnlos erachtet wird,
verringern sich indes die Interventionsmöglichkeiten deutlich. Beimnördlichen
Nachbarn
hat der Zusammenbruch des Nationalsozialismus einematerielle undmoralische Lücke
hinterlassen, so dass dieWiederaufbauer vollkommen freie Hand haben, um Innovatio-
nen zu schaffen, zu experimentieren, und zu versuchen, etwas Neues aus einemMini-
mum an Gegebenem zu errichten. In Österreich hingegen gibt es keine schöpferische
Freiheit.EineganzeReihevonpolitischen,gewerkschaftlichen, sozialenundmoralischen
Strukturen–eingespieltundsolide–müssenberücksichtigtwerden,diewiederzumVor-
schein kommen, sobald die künstlichenVeränderungendurch den deutschenNazismus
beseitigt sind.WirmüssenOrganismen ineinemZustandderLethargie insLebenzurück-
rufen,dabeiaber jedezuabrupteGesteund jedenzuradikalenEingriff vermeiden,der in
ihnendasPrinzipdesLebensselbst zumStillstandbringenkönnte.24
([…] l’écroulement du nazisme a laissé un vidematériel etmoral tel que les reconstruc-
teurs ont le champ entièrement libre pour innover, pour expérimenter, pour chercher à
bâtir du neuf à partir duminimumde données. En Autriche, au contraire la liberté de
création n’existe pas. Il faut tenir compte de tout un ensemble de structures politiques,
syndicales, sociales, morales – cohérentes et solides, qui réapparaissent, aussitôt déb-
layés les apports artificiels dunazismeallemand. Il faut rappeler à la viedesorganismes
en état de léthargie, en évitant tout geste trop brusque, toute intervention trop radicale,
qui risqueraitd’arrêtereneuxleprincipemêmedelavie.)25
WährendDeutschlandseinerzeit lediglicheinegeographischeBezeichnungsei,
derkeinStaat, keineStruktur, keinegeistigeEinheit entspreche,handlees sich
bei Österreich um eine Realität mit eigenen Eigenschaften, eigener Organisa-
tion, eigenemLeben („avec ses caractères propres, sonorganisationpropre, sa
vie propre“), um ein Land, das aus seinem künstlichen Schlaf sieben langer
Jahre („sommeil artificiel de sept longues années“) aufzuweckennunAufgabe
Anstrengungen von unserer Seite und vieler Österreicher, trotz unseres gutenWillens, trotz
derkulturellenBemühungen, trotzderKontaktnahmen,derFeierlichkeitenunddergroßzügi-
genMaßnahmen haben sich die allgemeineAtmosphäre und die Beziehungen zwischen uns
und einem Teil der Bevölkerung nur sehr langsam verbessert.“ („Malgré tous nos efforts et
ceux de beaucoup d’Autrichiens, malgré notre bonne volonté, malgré l’action culturelle,
malgré contacts, cérémonies etmesures libérales, le climat et les rapports entre nous et une
partiede lapopulationnese sontaméliorésque lentement.“)GeneralBéthouart:DieSchlacht
umÖsterreich. Deutsch vonErnestMeyer undAlfredBaumgartner.Wien 1967, S. 66–67. (Bé-
thouart:LaBataillepour l’Autriche,S.42–43.)
23 Armeegeneral Béthouart: Rede bei Verleihung desDr. rer. pol. h. c. der UniversitätWien.
In:GeistigesFrankreich,02.10.1950.
24 HautCommissariat:DeuxAnsetdemideprésencefrançaiseenAutriche,S. I. [Übers.d.Verf.]
25 HautCommissariat:DeuxAnsetdemideprésence françaiseenAutriche,S. I.
66 4 FranzösischeKulturpolitikundersteExistentialismus-Begegnungen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur